Der dunkle Spiegel
Begebenheiten des Familienlebens durchzugehen und zu kommentieren. Dann brach Peter, gefolgt von einem schwarzen Ungeheuer, über sie herein.
»Frau Almut, Frau Almut, der Kater hat mit einer Ratte gekämpft!«
»Und wer hat gewonnen? Soll ich raten – die Ratte! Und sie hat dem Kater das Fell ausgezogen und ist selbst hineingeschlüpft.«
Der elfjährige Junge lachte und schob das große schwarze Katzentier zu Almut hin, das laut schnurrend die Hand beschnupperte.
»Für eine Ratte ist das aber ein beachtliches Schnurren.«
»Na ja, eigentlich hat der Kater die Ratte totgebissen. Aber sie war schon ziemlich groß!«
»Er ist ja auch ein tapferer Geselle! Genau wie sein Freund, was?«
Almut zauste ihrem kleinen Stiefbruder die ohnehin verwuschelten Haare und reichte ihm ein Beutelchen.
»Das solltest du aber mit deiner Schwester teilen, nicht ganz alleine aufessen! Es sind vier Stücke für jeden darin.«
Peter nestelte das Bändchen auf und bekam große Augen. Gertrud hatte Konfekt zubereitet, aus getrockneten Aprikosen, Rosinen, Honig und einer Reihe von Gewürzen. Das Geheimnis der Herstellung hütete sie wie den heiligen Gral.
»Ohh, mhhh. Danke, Frau Almut. Wisst Ihr was, ich erzähle Euch dafür auch eine schaurige Geschichte, ja?«
»Das hatte ich gehofft, Peter. Du erzählst so wundervolle Geschichten.«
Barbara erhob sich lächelnd und meinte: »Dann kann ich ja getrost wieder meinen Arbeiten in der Schreibkammer nachgehen. Dein Vater will noch ein paar Aufstellungen über das Baumaterial haben, das er bestellt hat. Du wirst gut unterhalten, Almut. Und falls dir etwas unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut werden sollte, möchte ich sowieso lieber nichts davon erfahren. Weiß Gott, Peters Beichtvater wankt immer bleich und mit verstörtem Blick aus dem Beichtstuhl, wenn er seine Sünden gehört hat.«
Peter war ein aufgeweckter Junge mit einem Hang zum Abenteuer, doch er hatte auch genügend Fantasie, um sich die drastischsten Folgen seiner Taten vorzustellen, was ihn von allzu wagemutigen Experimenten abhielt. Die gleiche Fantasie allerdings bewirkte auch, dass vergleichsweise harmlose Unternehmungen zu gar erschreckenden Ereignissen gerieten.
»Worum geht es diesmal? Korsarenschiffe im Rheinhafen? Schreiende Steine? Singende Schwerter?«
»Nein, viel schlimmer – nebenan im Hof gehen höllische Geister um.«
»Nein!!!! Erzähl!«
»Es war am Montag. Oder so, jedenfalls nachts. Es war ziemlich warm in der Kammer, und der Mond schien.«
»Und du konntest nicht schlafen.«
»Ja, richtig. Und der Kater war auch draußen. Weißt du, ich wollte wissen, was er nachts macht. Und da bin ich eben aufgestanden.« Er zögerte. »Du erzählst es der Mutter nicht, ja?«
»Nein, versprochen.«
Peter fasste neues Vertrauen, denn der Wunsch, das Erlebte loszuwerden, drängte gewaltig.
»Also, dieser Baum vor meinem Fenster, der hat einen Ast.«
Almut nickte versonnen. Ihr Bruder bewohnte jetzt die Kammer, die sie als Kind ihr Eigen genannt hatte. Die alte Buche vor dem Fenster war eine Verlockung. Aber sie hatte die Äste als sehr schwankend in Erinnerung.
»Soso, einen Ast.«
»Ja, ja, Frau Almut. Keine Angst, es ist ganz sicher, der Kater springt auch immer darauf.«
»Du bist etwas schwerer als dein Kater.«
»Aber er hält mich auch aus! Und es ist ganz leicht, zum Stamm zu kommen und von da auf die Mauer. Der Kater ist nämlich oft nebenan auf dem Hof.«
Almut bemühte sich zwar um eine strenge Miene, aber der Ast hielt wirklich das Gewicht eines Kindes aus, wie sie selbst sehr gut wusste. Neugierig auf die jugendlichen Erlebnisse, fragte sie weiter: »Fandest du ihn dort?«
»Nein, aber etwas Grauenvolles ging dort vor. Weißt du, viel sehen konnte ich nicht. Das Mondlicht fällt nicht hinein. Aber ich hörte ein entsetzliches Stöhnen, ein furchtbares Geräusch, als wenn ein hungriger Dämon dort sein Unwesen trieb. Er keuchte und hustete und spuckte Blut und Schleim. Und er warf mit Sachen um sich. Es krachte und knirschte und ächzte, als ob er die Wände versetzen wollte. Und dann stöhnte er wieder, so ganz tief aus dem Bauch heraus. So etwa!«
Peter gab eine Art brünstigen Grollens von sich, das Almut zum Kichern reizte. Aber sie blieb ernst und fragte: »Du meine Güte, und die ganze Zeit hast du auf der Mauer gesessen und zugehört? Wie mutig du bist. Wenn er dich nun entdeckt hätte?«
»Wär ich blitzschnell den Baum hochgeklettert.«
»Ah, gut. Geschah noch
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