Der dunkle Thron
einen Moment die Augen schließen, als König Henry ihn mit dem Schwert seiner Väter gürtete. Als Junge hatte er sich manchmal vorgestellt, wie es sein und wie dieser Moment sich anfühlen würde. Er war in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass dieser Tag unweigerlich kommen würde, wenn er nicht vor seinem Vater starb, und die Vorstellung hatte ihn immer mit Stolz erfüllt. Es war etwas, das sein sollte. Etwas Richtiges, geheiligt durch Jahrhunderte alte Traditionen, denen er sich zutiefst verpflichtet fühlte. Nur hätte er sich niemals träumen lassen, dass der König, der ihn in die Reihen seiner Lords aufnahm, seinen Vater auf dem Gewissen haben und ein Feind derer von Waringham sein würde.
Nick kniete sich wieder hin, zog die Klinge und streckte sie Henry mit dem Heft voraus entgegen. »Von heute an bin ich der Eure mit Leib und Leben und all meiner weltlichen Ehre und gelobe Euch Vasallentreue und Gehorsam.« Gott steh mir bei …
Der König legte die Hand um den Schwertgriff zum Zeichen, dass er den Schwur annahm. Die Art, wie er zupackte, ließ Nick einen Blick auf den kriegerischen, turnierwütigen jungen Prinzen erhaschen, der Henry einmal gewesen war.
Der gab das Schwert zurück an den Herold, denn niemand durfte in seiner Halle Waffen tragen. Dann nahm er Nick bei den Schultern, hob ihn auf und gab vor, ihn nach uralter Sitte auf den Mund zu küssen, ließ aber glücklicherweise einen Zoll Abstand zwischen ihren Lippen. Auch so hatte Nick Mühe genug, nicht zu schaudern. Für einen Augenblick ruhten die großen Hände noch auf seinen Schultern, dann drehte Henry den frisch gegürteten Earl zu den Menschen der Halle um und vollführte lächelnd eine auffordernde Geste.
Der Hof spendete dem Earl of Waringham Applaus, der mehrheitlich lauwarm ausfiel. Nick bemühte sich um eine gleichmütige Miene und achtete darauf, niemandem ins Gesicht zu sehen, vor allem seiner Stiefschwester nicht. Unauffällig ließ er den Blick über die langen Tischreihen in der festlich erleuchteten Halle schweifen, aber vergebens: Thomas More war nicht gekommen.
Der König nahm Nick beim Ellbogen und führte ihn zur hohen Tafel. »Lasst mich die Gelegenheit nutzen, Euch der Königin vorzustellen, Waringham.«
Die Königin ist in Hertfordshire, lag Nick auf der Zunge, aber er sagte es lieber nicht. Der warnende, geradezu nervöse Blick seines Paten, der gleich an der Seite der jungen Königin saß, wäre gar nicht nötig gewesen, denn Nick wusste selbst, dass es Selbstmord gewesen wäre, sie zu brüskieren.
Er verneigte sich tief vor ihr. »Eine hohe Ehre, Majestät.«
»Mylord of Waringham.« Die großen schwarzen Augen seien das schönste an ihrem Gesicht, hatte Jerome behauptet, doch als sie Nick nun betrachteten, hatten sie einen kalten, seltsam leblosen Glanz, wie von nassem Schiefer. »Welch unverhoffte Freude, Euch bei meinen Krönungsfeierlichkeiten begrüßen zu dürfen. Ich fing schon an zu glauben, die wenigen Vertreter des alten Adels, die es in England noch gibt, fänden alle Ausflüchte, um fernzubleiben. Oder bezahlen lieber ein Bußgeld, als mitanzusehen, wie ich Königin von England werde, so wie Lord Stafford.«
Nick fand es unhöfisch, geradezu vulgär, dass sie Staffords Affront so offen zur Sprache brachte, und ihm kam die Frage in den Sinn, ob sie sich absichtlich schlecht benahm, um ihn herauszufordern. Denn sie hätte es zweifellos besser gekonnt, war sie doch am französischen Hof erzogen worden. Er verschanzte sich hinter einem nichtssagenden Lächeln. »Ich bin überzeugt, Ihr könnt gut auf ihn verzichten, Hoheit. Stafford ist ein furchtbarer Langweiler.«
Anne Boleyn nickte emsig. »Und in Anbetracht der Kosten für meine Krönungsroben ist sein Bußgeld weitaus nützlicher als seine Anwesenheit, scheint mir.«
Lady Mary, die Schwester des Königs und Gemahlin des Duke of Suffolk, stützte die Stirn in die Hand und schüttelte fast unmerklich den Kopf.
Die junge Königin sah in ihre Richtung. »Kein Grund, beschämt zu sein, Madam. Ich sage immer, was ich denke.«
»Ich habe es vor langer Zeit aufgegeben, für andere Menschen beschämt zu sein«, gab Lady Mary grantig zurück. »Und Eure Unverblümtheit ist mir keineswegs neu, Majestät.«
Nick fiel ein, dass Anne Boleyn als Hofdame mit nach Paris gegangen war, als die Schwester des Königs für zwei kurze Monate Königin von Frankreich geworden war. Und schon damals, behauptete Jerome Dudley, habe Mary Tudor die blutjunge Anne Boleyn
Weitere Kostenlose Bücher