Der dunkle Thron
Sympathien für die Reformbewegung hat. Du musst doch wissen, dass sie die Reformer nur für ihre Zwecke benutzt und ihnen den Rücken stärkt, weil der Papst nicht tut, was sie will.«
»Das ist es, was du ihr unterstellst«, hielt John ihm entgegen. »Die Zeit wird zeigen, wer von euch sich im Irrtum befindet. In einem Punkt hat Laura jedenfalls recht: Wenn du nicht lernst, deine Gefühle besser zu verbergen und deine Zunge zu hüten, lieferst du dich selbst ans Messer. Deine rebellische Loyalität für Catalina und Prinzessin Mary in allen Ehren, aber du wirst ihnen wenig nützen, wenn du tot bist.«
»Ich weiß überhaupt nicht, was ihr mir vorwerft«, gab Nick verdrossen zurück. »Vielleicht rede ich unbedacht, aber nur vor euch. Das ist nicht besonders heldenmütig. Rückgrat beweisen Männer wie Lord Stafford oder Thomas More, die der Krönung fernbleiben, und ich für meinen Teil bewundere sie dafür. Aber was tue ich? Genau das, was von mir verlangt wird. Ich gehe zu ihrer lächerlichen Krönung wie ein artiger kleiner Kronvasall.« Er stieß angewidert die Luft aus.
Jerome hob kurz die Schultern. »Du bist Kronvasall. Das bedeutet, du setzt deine Ehre nicht aufs Spiel, indem du dem Willen deines Königs folgst, sondern nur, wenn du es nicht tust, oder?«
Nick kehrte an den Tisch zurück, stützte die Hände auf die Platte und beugte sich ein wenig vor. »Ich würde sagen, das hängt davon ab, wohin ich dem König folgen soll. Anders als ihr reformerischen Wirrköpfe glaube ich nämlich daran, dass Gott uns einen freien Willen gegeben hat, um selbst zu entscheiden, was richtig und was falsch ist. Trotzdem gehe ich zur Krönung. Und büße da und dort für meine Schwäche, denn Brechnuss wird beim Krönungsbankett schon wieder meine Tischdame sein. Ich fange an, mich zu fragen, ob Henry die Absicht hat, uns zu verheiraten.«
»Aber … sie ist deine Stiefschwester«, wandte Philipp entgeistert ein. »Die Kirche macht keinen Unterschied zwischen leiblichen und Stiefgeschwistern. Es wäre Inzest!«
Nick lächelte humorlos. »Die Kirche erlaubt auch nicht, dass ein König seine Mätresse heiratet, während er gleichzeitig eine rechtmäßige Gemahlin hat. Das hat ihn indes nicht abgehalten, oder?«
Greenwich, September 1533
»Waringham, lasst uns verschwinden«, schlug George Boleyn vor. »Ein Stück reiten, was meint Ihr?«
Nick deutete ein Kopfschütteln an. »Vielleicht später.«
»Aber ich langweile mich hier zu Tode«, quengelte der Bruder der Königin.
»Schsch«, mahnten Nick und die Dame an Boleyns anderer Seite im Chor.
Der Gescholtene ließ die Schultern hängen und stöhnte.
Sie saßen auf harten Holzbänken auf dem Rasen im weitläufigen Garten von Greenwich Palace, und vor dem Springbrunnen war eine Bühne aufgebaut worden, auf welcher eine Schar Damen und Höflinge ein erbauliches Schauspiel von Lastern und Tugenden zum Besten gab. Das üppige Mahl, das zuvor in der Halle serviert worden war, hatte auch Nick ein wenig schläfrig gemacht, und die gespreizten Verse, in denen die Nächstenliebe mit dem Hochmut stritt, waren nicht gerade dazu geeignet, ihn wachzuhalten. Aber die Musiker mit ihren italienischen Instrumenten und der Knabenchor, die das Schauspiel musikalisch untermalten, waren gut und weckten sein Interesse. »Ich rühre mich nicht vom Fleck«, stellte er flüsternd klar.
George Boleyn griff nach dem Weinbecher, der zwischen seinen Füßen stand, und nahm einen ordentlichen Zug. »Die Kleine, die die Hoffnung spielt, ist Lady Jane Seymour«, bemerkte er dann mit gesenkter Stimme.
»Ich weiß«, gab Nick zurück. Die junge Hofdame, die damals Zeuge seiner ersten Begegnung mit Königin Catalina und Prinzessin Mary gewesen war, hatte Catalina nicht in die Verbannung aufs Land begleitet, sondern war bei Hofe geblieben und jetzt eine der Damen der neuen Königin. Wie freiwillig, war umstritten.
»Sie ist ja so niedlich«, sagte Boleyn schwärmerisch.
»An ihr werdet Ihr Euch die Zähne ausbeißen, Mylord«, prophezeite Jerome Dudley, der an Nicks anderer Seite saß. »Sie ist ein Muster an Tugend und Standhaftigkeit.«
»Ja, das ist wahr«, erwiderte Boleyn kummervoll.
»Pst!«, zischte die Dame neben ihm, jetzt wesentlich giftiger.
Der Bruder der Königin schenkte ihr ein zerknirschtes Lächeln und legte die Hand auf ihr Bein. Nick hatte keine Ahnung, wer sie war, jedenfalls nicht Boleyns Frau.
Es war ein brütend heißer Spätsommersonntag Anfang September, und Nick
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