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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Nick zählte zwanzig ohrenbetäubende Kanonenschüsse, während Anne Boleyns Barke sich dem Tower-Kai näherte. Als sie verstummten, herrschte auf einmal eine geradezu unheimliche Stille. Dann brachen die Männer und Frauen um ihn herum hastig in Jubel aus, hoben beide Arme und winkten frenetisch, sodass Nick den Kopf zurückzog, um sich keine Ohrfeigen einzufangen.
    Der Jubel auf dem Wehrgang verhallte eher als das Getöse, welches die Londoner am anderen Ufer und auf dem Tower Hill veranstalteten. Es klang ganz anders. Nick hob erstaunt den Kopf, als er Buhrufe vernahm. Die Massen waren zu weit entfernt, um einzelne Worte zu verstehen, bis sich die Sprechchöre bildeten: »Hu-re, Hu-re!«, scholl es über den Fluss, während sie auf dem Tower Hill skandierten: »Ca-ta-li-na, Ca-ta-li-na!«
    Schleunigst setzten die Salutschüsse wieder ein.
    Nick sah zur St.-Katherine-Kirche hinüber. Sie hatte kein einziges Fenster mehr.
    Er kam sich vor wie ein Gespenst: unsichtbar und unbeteiligt. Die Menschen, die um ihn herumwogten, beachteten ihn nicht – wofür er dankbar war –, denn sie waren vollauf damit beschäftigt, die Hälse nach dem König und seiner neuen Gemahlin zu verdrehen, sich gegenseitig überschwänglich zu begrüßen und ihre kostbare Garderobe zur Geltung zu bringen.
    Derweil nahm unten am Tower-Kai König Henry seine junge, schwangere Frau in Empfang und küsste sie zärtlich. Unter all diesen Menschen waren Henry und Anne Boleyn die einzigen, die Nick je zuvor gesehen hatte, und auch diese Begebenheit gehörte nicht gerade zu seinen Lieblingserinnerungen.
    Der König führte Lady Anne Richtung White Tower, dem Hauptgebäude, das eigens für diesen Anlass renoviert worden war, und der noch ungekrönten Königin folgten paarweise zwei Dutzend ihrer Hofdamen in weißen, juwelenbestickten Kleidern. Nick entdeckte seine Stiefschwester gleich vorn hinter Anne Boleyn. Beide Cousinen trugen das glatte dunkle Haar offen bis auf die Hüften, was in Lady Annes Fall reichlich anstößig war, behauptete sie doch von sich, eine verheiratete Frau zu sein. Und das jungfräulich unbedeckte Haupt wollte so gar nicht zu dem runden Bauch passen, den sie mit unverkennbarem Stolz vor sich herschob. Nick richtete den Blick wieder auf seine Stiefschwester. »Du siehst in Weiß aus wie eine Wasserleiche, Brechnuss«, flüsterte er vor sich hin.
    Abgesehen von ihm schien hier jeder jeden zu kennen, und die prunkvoll gekleideten Männer und Frauen um ihn herum begrüßten einander freudig und plauderten angeregt, während sie Richtung Innenhof drifteten.
    »Die Krönungsrobe hat über tausend Pfund …«
    »… Norfolk dürfte sich schwarz ärgern, dass er nach Frankreich musste, statt den Tag zu erleben, da seine kleine Nichte …«
    »Was für eine wundervolle Haube, Lady Rochford, so etwas habe ich ja noch nie …«
    »Cromwell hat dafür gesorgt, dass die Aldermen persönlich die Gilden abklapperten, um das übliche Geldgeschenk für die neue Königin einzusammeln …«
    »Aber er hat ausnahmsweise Feingefühl bewiesen und die spanischen Kaufleute in London von dieser Pflicht entschuldigt«, raunte eine vertraute Stimme in Nicks Ohr.
    Lächelnd wandte er sich um. »Kalkül, nicht Feingefühl«, widersprach er. »Eine Revolte der Londoner zur Krönung war sicher das Letzte, was Cromwell wollte. Schön, Euch zu sehen, Mylord.«
    Der Duke of Suffolk drosch ihm lachend auf die Schulter. »Nick! Was für ein Kerl du geworden bist! Wo willst du hinwachsen, um Himmels willen? Wie geht es dir?«
    Nick senkte die Stimme. »Es ginge mir besser, wenn ich daheim in Waringham wäre und dieses Spektakel hier versäumen dürfte, aber davon abgesehen, prächtig. Und was ist mit Euch?«
    Sein Vormund schnitt eine komische Grimasse. »Ich bin mehr tot als lebendig. Seit zwei Monaten habe ich nichts anderes getan, als diese Krönung vorzubereiten, und ständig umlagern mich irgendwelche Schwachköpfe mit Fragen und Beschwerden, weil irgendetwas nicht glatt läuft.«
    »Ihr habt mein aufrichtiges Mitgefühl«, beteuerte Nick.
    »Ja, spotte nur. Aber ich sage dir, Sonntagabend, wenn alles vorbei ist, wird mich vermutlich der Schlag treffen. Ich bin um Jahre gealtert.«
    »Das ist nicht zu übersehen.«
    Suffolk knuffte ihn ziemlich unsanft auf den Oberarm. »Verdammter Flegel.« Aber er lachte. »Ich kann nicht bleiben, Nick. Du kommst zurecht, oder? Und du wirst das hier überstehen, ohne größere Dummheiten zu begehen?«
    »Seid

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