Der dunkle Thron
beruhigt, Mylord. Und lasst Euch nicht aufhalten.«
Mit einem etwas fahrigen Wink wandte der Duke of Suffolk sich ab.
»Ist Sir Thomas gekommen?«, fragte Nick in seinem Rücken.
Suffolk hielt noch einmal an, sah sich rasch um und schüttelte dann den Kopf. »Noch nicht. Ich hoffe, er besinnt sich. Der König hat schon zweimal nach ihm gefragt.«
Zwei Tage und Nächte residierten der König und die Königin im Tower. Ein eigener Gebäudetrakt war für die Gemächer der Königin errichtet worden, mitsamt Garten, wenngleich höchst fraglich war, ob sie nach dem traditionellen Aufenthalt hier vor der Krönung je wieder einen Fuß in den Tower setzen würde.
Als Nick am Freitagabend wie befohlen zum Bankett in der Großen Halle des White Tower erschien, fragte er sich, ob die Königin es nicht hatte erwarten können und die Krönungsrobe, von der überall gemunkelt und Unerhörtes berichtet wurde, schon einmal anprobiert hatte: Die Goldfäden und Juwelen ihres purpurroten Kleides funkelten im Licht der zahllosen Kerzen, welche die Halle taghell machten und die neuen Wandgemälde mit Motiven aus der griechischen Mythologie erstrahlen ließen.
»Heiliger Georg, was für eine Kette«, stieß Nicks Tischnachbar hervor. »Die Perlen sind größer als Kichererbsen, oder?«
Nick sah zur hohen Tafel hinüber und nickte. »Aber sie stehen ihr hervorragend.«
»Da habt Ihr recht. Sie mag sonst keine große Schönheit sein, aber sie hat wirklich einen hinreißenden Hals, da lohnen sich solche Perlen.« Der Mann, der um die dreißig und auffallend gut aussehend war, verneigte sich leicht. »George Boleyn, Sir.«
»Nicholas of Waringham. Wieso sitzt Ihr hier unten, wenn Ihr der Bruder der Königin seid?«
»Wieso sitzt Ihr hier unten, wenn Ihr der Earl of Waringham seid?«, konterte Boleyn lachend. Dann schüttelte er den Kopf. »Die Ehrenplätze gebühren den hohen Lords der Welt und der Kirche. Niemand soll uns nachsagen, die Königin protegiere ihre Familie. Jedenfalls nicht, solange die ganze Welt zuschaut«, schränkte er augenzwinkernd ein.
Nick musste grinsen und stellte mit Befremden fest, dass dieser George Boleyn nicht einmal unsympathisch war. Er machte Nick mit seiner Gemahlin, Lady Rochford, bekannt. Sie war ein mausgraues, nervöses Geschöpf in einer zu großen Giebelhaube, unter deren Ansatz sich dünnes, seltsam farbloses Haar kräuselte. Sie hing an den Lippen ihres Gemahls, und wenn er das Wort an sie richtete, leuchteten ihre wässrig blauen Augen auf, doch meist folgte sein Blick den vielen Damen in der Halle, die eleganter und schöner waren als sie. Nick schloss, dass Lady Rochford zu bedauern sei.
Noch während er ein paar artige Floskeln mit ihr tauschte – sie schien sehr geübt in dieser Kunst –, kam Nicks Tischdame an die Tafel.
Er erhob sich. »Louise.«
»Nicholas.«
»Nimm doch Platz, meine Liebe.«
Sie glitt graziös auf die Bank. »Wer immer die Tischordnung gemacht hat, ist entweder schlecht informiert oder hat einen äußerst bizarren Sinn für Humor.«
Er setzte sich notgedrungen neben sie und schob ihr seinen Becher hin. »Wohl bekomm’s.«
»Ich hoffe, du hast noch nicht daraus getrunken. Ich würde mich vermutlich vergiften.«
»Keine Bange. Ich hab ihn nicht angerührt.«
Sie sah ihn über den Rand des Pokals einen Moment forschend an. »Du willst nicht zechen an dem Ort, wo dein Vater gestorben ist?«
Er hob scheinbar gleichmütig die Schultern. »Denk, was dir Spaß macht.« Aber sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, und er war erschrocken darüber, wie gut sie ihn offenbar kannte. Vermutlich viel besser als er sie, musste er einräumen.
»Ah, Louise!« George Boleyn beugte sich zu ihr hinüber und verströmte seinen Charme in beinah spürbaren Wellen. »Meine königliche Schwester trägt das wundervollste Kleid, das ich je im Leben gesehen habe, Cousine, aber ich bin geneigt zu sagen, dass du ihr in diesem Traum aus weißer Seide gefährlich werden könntest.«
Sie winkte amüsiert ab. »Lass mich raten. Als Nächstes wirst du sagen, dass mein Kleid nichts ist im Vergleich zu meinen Augen? Oder dem makellosen Schimmer meiner Haut?«
»Das ist die reine Wahrheit«, verteidigte sich George Boleyn und legte die Hand aufs Herz. »Wenn meine Lady Rochford nicht wäre, würde ich jede Nacht schmachtend vor deiner Tür verbringen.«
Louise streifte die graue Maus mit einem abschätzigen Blick, ehe sie kokett die Wimpern senkte. »Dann werde ich mich in Zukunft
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