Der dunkle Thron
Lord Waringham bei unserer Unterredung zugegen ist, Euer Gnaden«, widersprach Mary kategorisch.
Nick hob begütigend die Hand. »Es ist schon gut, Hoheit …«
»Ihr werdet auf der Stelle aufhören, sie so zu nennen!«, schnauzte Norfolk ihn an.
»Ich bitte Euch, bleibt, Mylord«, beharrte Mary, und ihr Tonfall hatte etwas Flehendes, was Nick ganz und gar nicht gewohnt war. »Ich will einen Zeugen.«
»Es reicht wohl völlig, wenn Lady Margaret …«, widersprach Norfolk.
»Ich bin anderer Ansicht«, unterbrach Mary, und mit einem Mal war sie ganz die Tochter ihres Vaters. Man konnte sich fast vor ihr fürchten. »Sagt, was Ihr zu sagen habt, Mylord, und zwar vor Waringham. Falls Ihr das nicht möchtet, wünsche ich Euch einen guten Tag.«
Es war unschwer zu erkennen, dass Norfolk Mühe hatte, sich zu beherrschen. Er war ein jähzorniger, übellauniger Wüterich, und Nick wusste, dass Raymond manchmal fürchterliche Prügel von seinem Onkel bezog. Aber offenbar besaß Norfolk genug Verstand, um zu wissen, dass es unklug wäre, die Hand gegen die Tochter des Königs zu erheben – verstoßen oder nicht. »Madam, ich bin gekommen, um mich zu vergewissern, dass Ihr die Wünsche des Königs befolgt, die Titel abgelegt habt, die Euch nicht länger zustehen, und die Goldbordüren und königlichen Insignien von der Livree Eurer Dienerschaft entfernt habt, wie mein Bote Euch letzten Monat ausgerichtet hat.«
Mary warf Nick einen verstohlenen, beinah zerknirschten Blick zu, denn sie hatte es versäumt, ihm von diesem Boten zu berichten.
»Wie ich sehe, habt Ihr nichts von alldem getan«, fuhr Norfolk fort.
»Nein«, bestätigte sie, nahm in ihrem Sessel am Feuer Platz und ließ den mächtigen Herzog stehen. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Vater, der König, ernsthaft wünscht, dass ich mich feige solch lächerlichen Befehlen unterwerfe.«
»Dann befindet Ihr Euch im Irrtum, Madam«, teilte Norfolk ihr mit.
»Das werde ich dann glauben, wenn er es mir persönlich sagt.«
»Dazu hat er keinerlei Veranlassung. Aus welchem Grund sollte er Euren Ungehorsam mit einer persönlichen Audienz belohnen? Ich kann Euch gar nicht eindringlich genug warnen, Madam: Ihr widersetzt Euch offen dem Willen Eures Königs.«
So formuliert, erfüllte es den Tatbestand des Verrats, und darum hing der Vorwurf einen Moment bleischwer im Raum, ehe Mary sich erkundigte: »Und das bedeutet? Seid Ihr gekommen, um mich auch in den Tower zu sperren wie die arme Elizabeth Barton?«
»Noch nicht«, gab Norfolk zurück. »Aber wenn Ihr so weitermacht, würde es mich nicht wundern, wenn der König die Geduld mit Euch verlöre und Euch bei ihr einquartiert. Fürs Erste bin ich nur hier, um Euch davon in Kenntnis zu setzen, dass Euer Haushalt aufgelöst wird, Madam.«
Mary blinzelte verwirrt. Wortlos sah sie dem Duke of Norfolk ins Gesicht, und sie war kreidebleich geworden.
»Was heißt das?«, fragte Nick, obwohl er es wusste.
»Ihr seid still«, fuhr Norfolk ihn an, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. »Ich wette, diese Aufsässigkeit, die keiner Frau ansteht, ist allein Euer Verdienst!«
»Ich würde sagen, sie ist allein König Henrys Verdienst«, konterte Nick.
»Also?«, fragte Mary. »Wo soll ich hin, Mylord?«
»Nach Hatfield, wo sich der Haushalt Prinzessin Elizabeths, Eurer kleinen Halbschwester, befindet. Dort werdet Ihr fortan leben, trägt der König Euch auf, in Bescheidenheit und Demut, wohlgemerkt, und unter den strengen Blicken der königlichen Gouvernante, Lady Shelton, die ermächtigt ist, Euch zu züchtigen, wenn Ihr es weiterhin an Respekt vor Eurer Schwester und Königin Anne mangeln lasst.«
Mary saß kerzengerade, die Hände auf den Armlehnen ihres Sessels, und ihre Miene war unbewegt, als sie erwiderte: »Ich ginge lieber in den Tower.«
London, April 1534
Es stürmte und schüttete schon den ganzen Tag wie aus Kübeln, und so waren Nick und Orsino beide dankbar, als sie durch das Tor an der Shoe Lane und weiter in den kleinen Stall ritten.
Nick saß ab, nahm das Barett vom Kopf und wrang es aus, ehe er sein Pferd versorgte. Er war gerade fertig und wollte zum Haus hinübergehen, als er Hufschlag im Hof hörte.
»Braucht Ihr Hilfe mit dem Gaul, Sir Jerome?«, hörte er den Bäckersohn rufen, dessen Vater eins der Häuser im Hof gepachtet hatte.
»Das kannst du dir aus dem Kopf schlagen, Perkin«, erwiderte Jerome. »Ich spar mein Geld und mach das selbst.«
»Man könnte Euch für einen
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