Der dunkle Thron
Moment. Sein Gehör hatte ihn nicht getrogen. »Majestät …«
Er stieß Madog, der immer noch halb auf ihm lag, unsanft von sich, richtete sich auf ein Knie auf und senkte den Kopf. »Ich hoffe, Ihr könnt mir vergeben.«
»Nun, Ihr konntet kaum mit mir rechnen«, antwortete Catalina von Aragon, aber es klang befremdet.
Es war inzwischen fast völlig dunkel geworden. Sie hielt indes ein Licht in der Hand, sodass er ihr Gesicht erkennen konnte. Mit undurchschaubarer Miene blickte sie auf ihn herab.
Nick war erschrocken und hoffnungslos verwirrt über ihr plötzliches Auftauchen, und beinah instinktiv begab er sich daran, erst einmal die Ordnung wiederherzustellen. Er packte Madog am Ellbogen und zog ihn ebenfalls auf die Knie hoch. »Mein Cousin, Madog Pembroke, Majestät.«
»Pembroke«, grüßte sie kühl.
Madog wischte sich mit dem Ärmel über die blutige Nase. »Eine … große Ehre, Majestät«, brachte er krächzend hervor. Offenbar war ihm die Stimme abhanden gekommen – ob vor Scham oder Ehrfurcht, vermochte Nick nicht zu entscheiden.
»Die Prinzessin?«, fragte Nick furchtsam, und er spürte sein Herz in der Kehle pochen. Er fürchtete, dass es nur einen Grund geben konnte, warum der König Catalina gestattete, zu ihrer Tochter zu eilen.
»Mit Gottes Hilfe wird sie wieder gesund«, antwortete Catalina. »Sie schickt mich zu Euch.«
»Sie … was?«, entfuhr es ihm.
Catalina bemühte sich nicht, ihr ungeduldiges Seufzen zu unterdrücken. »Denkt Ihr wirklich, wir sollten all das unter freiem Himmel besprechen?«
Nick nahm sich zusammen, kam auf die Füße und wies einladend auf die Kate. »Sehr bescheiden, fürchte ich.«
Die entthronte Königin trat über die Schwelle, ohne einen Kommentar abzugeben. Nick folgte ihr kleinlaut, und Madog raunte ihm nach: »Ich versuch, die verdammte Tür wieder einzuhängen. Wenn irgendjemand sieht, wer bei dir zu Besuch ist, sind wir geliefert.«
»Ist gut«, gab Nick tonlos zurück und trat ein. »Das ist Polly, Majestät, eine der Ammen. Mach einen Knicks, Polly. Dies ist Königin Catalina.« Und mit einem Mal kam ihm die Situation so bizarr vor, dass er Mühe hatte, ein nervöses Lachen zu unterdrücken. Aber seine Miene blieb ernst und – so hoffte er – würdevoll. Schlimm genug, dass die Königin ihn in diesem so ganz und gar unadligen Aufzug sah, in einem zerschlissenen Bauernkittel und staubigen Stiefeln. Verlegen zog er einen der groben Holzschemel herbei und wies einladend darauf.
Catalina setzte sich ohne jedes Zögern, so als verkehre sie alle Tage in einräumigen Gesindehütten.
Fünf Jahre waren seit ihrer letzten Begegnung vergangen, und Nick schien es, als sei die Königin seither noch ein wenig mehr in die Breite gegangen. Tiefe Furchen hatten sich in Stirn und Wangen gegraben, und die Gesichtshaut wirkte kränklich und schlaff. Man konnte sehen, dass es bittere Jahre gewesen waren, und die Gerüchte, die man gelegentlich hörte, waren unverkennbar wahr: Catalina war nicht wohl. Aber ihre Garderobe, ihre Haltung und Ausstrahlung waren so vornehm und königlich wie eh und je.
Mit einem wohldosierten Lächeln gestattete sie Polly, sich zu erheben, was diese ein wenig ungeschickt tat, das weinende Kind im Arm.
»Ist diese Person vertrauenswürdig?«, fragte die Königin Nick. Sie sprach Lateinisch, damit Polly sie nicht verstehen und gekränkt sein konnte.
»Ganz und gar«, versicherte er in der gleichen Sprache und ertappte sich dabei, dass der Argwohn der Königin gegen Polly ihn ärgerte. »Sie stammt aus Waringham und ist auf meine Bitte hin an diesen Hof gekommen.«
Catalina betrachtete das jammernde kleine Mädchen in den Armen der Magd und richtete den geruhsamen Blick dann auf Nick. Er erkannte, dass sie alles erraten hatte, was er zu erwähnen versäumt hatte.
»Und Euer Cousin?«, fragte Catalina weiter.
»Für ihn gilt das gleiche.«
»Und warum habt Ihr Euch dann geschlagen?«
»Das ist … eine lange Geschichte, Majestät. Wenn Ihr …«
»Es ist eine sehr kurze und etwas groteske Geschichte, Majestät«, fiel Madog ihm in seinem geschliffenen Latein ins Wort, zog die notdürftig reparierte Tür hinter sich zu und verneigte sich höflich vor der Königin. So als wolle er klarstellen, dass er sich durchaus wie ein Gentleman zu benehmen wisse, wenn er sich nicht gerade prügelte. Dann sprach er auf Englisch weiter: »Waringham war der Überzeugung, Thomas Cromwell ließe die Prinzessin vergiften. Darum wollte er
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