Der dunkle Thron
zu begehen wird Cromwell und dem König schon viel leichter fallen. Und auch Prinzessin Mary weigert sich, den Eid auf die Suprematsakte zu leisten.«
»Wann geht Ihr zurück? Werdet Ihr keine Schwierigkeiten bekommen, weil Ihr Euch einfach davongemacht habt? Ich meine, dort seid Ihr doch nur ein einfacher Knecht, und …«
»Ich habe mich nicht unerlaubt davongemacht, sondern den Stallmeister artig gefragt, ob ich eine Fußwallfahrt nach Canterbury machen darf, um Gott für die Geburt meines Sohnes zu danken.«
»Ihr habt einen Sohn?«, fragte Vater Anthony erstaunt.
»Und ein Töchterchen und ein Weib und eine Gesindekate mit einer Bank vor der Tür und ein ganzes verdammtes Stallknechtleben.« Nick raufte sich mit einem unzureichend unterdrückten Stöhnen die Haare. »Jedenfalls hat er mir die Erlaubnis für meine Wallfahrt erteilt.«
»Und ich dachte, Wallfahrten sind neuerdings verboten. Weil ihre heilspendende Wirkung in Zweifel gezogen wird.«
»Tja. Vielleicht wusste der Stallmeister davon noch nichts. Oder vielleicht hat er langsam einfach die Nase voll von Cromwells neuen Gesetzen.«
Lady Meg weigerte sich kategorisch, in Nicks Begleitung nach Hause zurückzukehren. »Das ist viel zu gefährlich für Euch, Mylord«, beschied sie streng. »Ihr habt genug für mich getan.«
Sie standen am Fuß der Treppe an der Anlegestelle von Southwark, darum zog Nick die Kapuze tiefer über die Augen und entgegnete: »Es wäre nur halb so gefährlich, wenn Ihr nicht ständig ›Mylord‹ zu mir sagen wolltet. Ihr müsst verrückt sein, wenn Ihr glaubt, ich ließe Euch bei Dunkelheit allein mit dem Wherry nach Chelsea fahren.«
»Ich fahre nicht nach Chelsea, Nicholas«, sagte sie leise und blickte nach links Richtung London Bridge.
Nick hatte auf einmal ein wirklich flaues Gefühl in der Magengegend. »Oh, Lady Meg …«, brachte er verzweifelt hervor. »Das kann nicht Euer Ernst sein.«
»Mir ist in meinem ganzen Leben noch nichts so ernst gewesen. Aber ich will nicht, dass Ihr mitkommt. Wenn man mich erwischt, bekomme ich Schwierigkeiten und ein Bußgeld. Wenn man Euch erwischt, folgt Ihr meinem armen Vater zum Richtblock. Dafür will ich nicht verantwortlich sein. Darum bitte ich Euch aufrichtig, lasst mich gehen, ehe mich der Mut verlässt. Es ist etwas, das ich tun muss. Und zwar allein.«
Nick wusste, er hatte kein Recht, ihr seine Gesellschaft aufzuzwingen. Er verneigte sich. »Wie Ihr wünscht, Lady Meg. Viel Glück.«
Sie trat auf ihn zu. Fast so etwas wie ein Lächeln lag auf ihren Lippen, und sie nahm für einen Augenblick seine Linke in ihre Rechte und küsste ihn auf die Wange. »Das wünsche ich Euch«, sagte sie leise.
Nicks Herzschlag hatte sich beschleunigt, und ein seltsames Brennen schien auf seiner Wange zu verweilen, wo ihre Lippen ihn berührt hatten. Wortlos hielt er ihr die Fackel hin, denn er wollte nicht, dass sein Gesicht länger beleuchtet blieb und sie erraten würde, wie es in ihm aussah.
Mit einem entschlossenen Nicken ergriff sie den Fackelstock und ging Richtung Brücke davon.
Nick folgte ihr – lautlos und mit zwanzig Schritten Abstand. Es war fast eine Meile bis zur Brücke, und die Bankside – die Uferstraße von Southwark – war abends von Seeleuten, Huren und allem möglichen lichtscheuen Gesindel bevölkert. Aber niemand behelligte die gut gekleidete Dame, die so gar nicht hierher passte, nicht nach links und rechts blickte, sondern zielstrebig voranschritt.
Als sie auf die Brücke einbogen, wurde es ruhiger. Die Häuser, die die gewaltige London Bridge an beiden Seiten säumten, wurden mehrheitlich von anständigen Handwerkern und Krämern bewohnt, die um diese Zeit längst in den Betten lagen. Bald war Lady Megs Fackel das einzige Licht weit und breit, aber die Nacht war nicht völlig finster, stellte Nick fest. Er blickte zum Himmel auf. Die Wolkendecke war aufgerissen. Hier und da waren ein paar milchige Sterne zu erkennen, und als er das sah, spürte er auch die sachte Brise auf dem Gesicht.
Sechs lange Stangen ragten nahe dem stadtseitigen Tor über der Brüstung der Brücke auf, an deren oberen Enden sechs Köpfe aufgepflanzt waren: die der vier Kartäuser, Bischof Fishers und seit heute Sir Thomas Mores. Lady Meg hielt an, steckte ihre Fackel in einen Spalt des steinernen Brückengeländers und schaute empor. Es war zu dunkel, um die Köpfe zu unterscheiden, aber dann blies der Wind die Wolken weiter zurück Richtung See, und für einige wenige
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