Der dunkle Thron
Das Licht, das herausfiel, hatte ihn angelockt.
»Ja, das wäre wohl das Beste«, antwortete der Waliser, der Madogs Zwillingsbruder hätte sein können, bis auf das dunklere Haar. »Greg soll sie morgen früh auf die Südweide bringen, und wir geben ihr mehr Hafer. Du wirst sehen, in ein paar Tagen …« Er brach ab, als sein Blick auf Nick fiel. »Nanu, wer bist du denn?«
Daniel wandte den Kopf. »Nick!« Es klang halb erfreut, halb entsetzt. »Was bei allen Teufeln und Heiligen tust du hier?«
Nick öffnete die untere Türhälfte und trat in die Box.
»Nick?«, wiederholte der Waliser verwundert. »Lord Waringham?«
Der streckte ihm die Hand entgegen. »Du musst Owen sein.«
»So ist es.« Sein walisischer Vetter schlug ein und betrachtete ihn mit schamloser Neugier.
Nick wandte sich der nervösen, mageren Fuchsstute zu, strich ihr über den Hals und befühlte beiläufig die Vorderhand. »Ist das Lucrecia?«
Daniel nickte. »Du hast sie nicht vergessen, was?«
Nick hatte kein einziges seiner Pferde vergessen. Doch es erschütterte ihn, dass aus dem Fohlen, welches er mit großen Mühen auf die Welt geholt hatte, eine junge Dame geworden war. Fast zwei Jahre war er von zu Hause fort gewesen …
»Sie will nicht zunehmen und geht im Training unwillig und lustlos«, erklärte Owen. »Daniel fürchtete, es könne die Pferdegrippe sein, aber ich glaube, sie hat einfach nur Hunger.«
Nick richtete sich auf und nickte seinem unbekannten Cousin zu. »Ich würde sagen, du hast recht.«
»Was macht mein Bruder Madog? Hinterlässt wie üblich eine Schneise der Verwüstung und gebrochene Herzen, nehme ich an?«
Nick musste grinsen. »Er ist großartig. Ich weiß kaum, wie ich zurechtgekommen bin, bevor er da war.« Er trat vom Kopf der Stute zurück und vollführte eine einladende Geste. »Tut mir leid. Ich wollte dir nicht in die Parade fahren.«
Owen Pembroke winkte ab. »Unsinn. Wir waren hier ohnehin fertig. Ich denke, wir machen für heute Feierabend und nehmen ihn mit auf ein Bier nach Hause, was meinst du, Daniel?«
Der stimmte bereitwillig zu, und während Owen und Nick in die Dämmerung hinaustraten, folgte Daniel mit der Laterne und schloss gewissenhaft die Boxentür. Nick beobachtete ihn und den neuen Stallmeister aus dem Augenwinkel, während sie zu dessen Haus hinübergingen, und stellte fest, dass Madog ihm die Wahrheit gesagt hatte: Daniel begegnete dem Mann, den man ihm vor die Nase gesetzt hatte, ohne Groll. Sie waren vertraut miteinander, das konnte man merken, freundschaftlich im Umgang und wie Verschwörer in der Hingabe an ihre Schützlinge – so wie alle, die mit Leidenschaft auf dem Gestüt arbeiteten. Und auf dem kurzen Weg zum Stallmeisterhaus erkannte Nick auch, dass die Anlage gepflegt und lebendig wirkte. Die Spuren von Nachlässigkeit und Niedergang, die hier allgegenwärtig gewesen waren, solange Daniel die Verantwortung alleine trug, waren nirgends mehr zu entdecken. Und bei seinem heimlichen Rundgang vorhin hatte Nick zufrieden festgestellt, dass alle Boxen im Stutenhof belegt waren.
»Etwa die Hälfte der Stuten sind Eure«, erklärte Owen, als sie in der Halle des Stallmeisterhauses saßen. Das letzte Tageslicht fiel durchs offene Fenster auf den Tisch mit dem polierten Silberleuchter und den drei Bierkrügen. »Aber wir haben auch in die Tat umgesetzt, was Ihr Euch vor Jahren schon überlegt hattet: Wir nehmen trächtige Stuten hier in Logis – gegen Bezahlung, versteht sich –, sorgen dafür, dass ihre Fohlen gesund auf die Welt kommen, und lassen sie dann von unseren Hengsten decken – wiederum gegen Bezahlung. Es ist ein großartiges Geschäft. Aber Ascanius schafft es nicht mehr, alle Stuten zu decken, die wir ihm zuführen, er kommt in die Jahre. Wir müssen ihn bald ersetzen.«
Ascanius war der letzte Zuchthengst, der noch aus den Zeiten von Nicks Vater stammte. »Vielleicht sprichst du mal mit Chapuys«, schlug Nick vor. »Er hat Prinzessin Elizabeth zwei Andalusier geschenkt – anonym, versteht sich. Es sind herrliche Tiere. Offenbar hat er eine gute Quelle.«
Owen trank einen tiefen Zug und nickte nachdenklich. »Wäre sicher interessant, mit einer ganz neuen Rasse zu züchten.«
»Aber ich weiß nicht, was der Steward dazu sagen wird«, wandte Daniel skeptisch ein. »Er ist kein Freund von Experimenten. Von teuren Anschaffungen erst recht nicht.«
Owen zuckte grinsend die Schultern. »Na und? Philipp Durham hat keine Ahnung von Gäulen. Wir müssten
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