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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Schwester. Louise weiß alles über jeden.«
    »Oh ja. Das ist mir nicht entgangen. Ich hoffe, sie sagt es Cromwell …«
    »Warum setzt du dich nicht zu uns, Ray«, lud Nick seinen Bruder ein und achtete darauf, nicht zu überschwänglich zu klingen.
    »Nein, danke.«
    »Nun, die Entscheidung liegt ganz bei dir. Aber hier ist nicht genügend Platz, um das Hofzeremoniell einzuhalten. Und ich schätze, wir werden es ein paar Tage zusammen aushalten müssen. Ich würde es begrüßen, wenn wir das mit Höflichkeit und in gegenseitigem Respekt täten.«
    »Meinetwegen …« Der Junge hockte sich auf die Kante des letzten freien Stuhls.
    »Ich versteh das alles nicht«, brach es aus Boleyn hervor. »Wenn Louise über diesen Smeaton und seinen Liebhaber Bescheid weiß, wieso dann nicht Cromwell, von dem alle sagen, er hört es, wenn bei Hof eine Fliege an der Wand hustet?«
    Nick betrachtete den arglosen George Boleyn, der ihm einmal eine Freundlichkeit erwiesen hatte, obwohl er ihn für einen Stallknecht hielt. Was er empfand, war vor allem Beklommenheit. »Seid versichert, dass er es weiß, Mylord«, sagte er. »Die Wahrheit ist für Master Cromwell indes nicht von Interesse. Er hat sich ein schwaches Opfer gesucht, das er erpressen kann, zu sagen, was er hören will.«
    »Aber … warum?«, fragte Boleyn verständnislos. »Was ist nur auf einmal in ihn gefahren? Cromwell war immer der verlässlichste Freund meiner Schwester. Ihr Eifer für die Reform hat sie zu Verbündeten gemacht.«
    Er wirkte so hoffnungslos verwirrt, dass es Nick gnädiger erschien, ihm reinen Wein einzuschenken. »Wie es aussieht … hat der König Eure Schwester fallen lassen und will sie loswerden.«
    »Was bei allen Erzengeln redet Ihr da?« Die Stimme überschlug sich. »Er hat Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um sie zu bekommen …«
    »Und sie hat es versäumt, ihm einen Sohn zu schenken. Außerdem ist er ihrer überdrüssig. Jedenfalls ist es das, was der Gesandte des Kaisers sagt. Und Cromwell hat aus nächster Nähe erlebt, wie Wolsey gestürzt ist, weil er keine Scheidung von Catalina für Henry erwirken konnte. Cromwell wird diesen Fehler nicht machen. Er gibt dem König, was er will: Einen Vorwand, die Königin durch eine andere zu ersetzen.«
    »Das würde Norfolk niemals zulassen«, protestierte Raymond, zu erregt, um sich darauf zu besinnen, dass es ungehörig für einen Pagen war, sich einzumischen.
    Nick glaubte eher, dass Norfolk mit Cromwell unter einer Decke steckte, denn der mächtige Herzog hatte Anne Boleyn nie verziehen, dass sie sich den Reformern angeschlossen und seiner Kontrolle entzogen hatte. Und mit einem Mal erkannte Nick auch, warum Suffolk so scheinbar urplötzlich Norfolks Nähe gesucht hatte: Anne Boleyns Feinde schlossen die Reihen. Aber er dachte nicht daran, das seinem Bruder darzulegen und ihn damit noch mehr gegen sich aufzubringen. Wenn er Glück hatte, würde Raymond von selbst dahinter kommen und dann vielleicht einmal anfangen, über seinen famosen Onkel Norfolk nachzudenken, den er anscheinend so glühend verehrte …
    George Boleyn starrte Nick an wie ein verlassener Welpe – ein flehender Blick voller Angst. »Wenn das wirklich wahr ist, Waringham …« Er musste schlucken. »Wenn das stimmt, bin ich ein toter Mann.«
    Nick zuckte die Schultern. »Das sind wir hier alle. Willkommen im Tower of London, George.«
    Das Zusammenleben gestaltete sich alles andere als einfach. Nick musste sein Bett notgedrungen mit George Boleyn teilen. Das war keineswegs ungewöhnlich – selbst bei Hofe war es anlässlich großer Feste mit vielen Gästen üblich, Betten doppelt oder gar dreifach zu belegen, denn schließlich waren sie ja breit genug. Aber Boleyn war ein rastloser Bettgenosse, der sich stöhnend von einer Seite auf die andere wälzte, solange er wach lag. Wenn er schlief, träumte er schlecht und wimmerte, und regelmäßig zog er Nick die Decke weg.
    Nick bemühte sich, das mit Nachsicht zu erdulden, denn er bedauerte George Boleyn, der im Gegensatz zu ihm selbst schuldlos zwischen die Mühlsteine der Politik geraten war und kein anderes Vergehen begangen hatte, als der Bruder einer unliebsam gewordenen Königin zu sein.
    Raymond schlief, in eine Decke eingewickelt auf einer zweiten, die er abends im Stroh ausbreitete. Er beklagte sich nicht über die unbequeme Bettstatt, sondern war still und verschlossen. Er richtete das Wort so selten wie möglich an seinen Bruder. Zu Boleyn war er

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