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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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rechtmäßige Gemahlin und seine Tochter verstoßen, mit der Kirche gebrochen, hat sich international isoliert. Alles für den Prinzen, den Anne Boleyn ihm nun auch nicht schenkt. Jetzt ist Catalina gestorben, und natürlich muss ihm die Frage in den Sinn gekommen sein, ob es nicht weiser gewesen wäre, die Finger von Anne zu lassen und zu warten, bis Gott Catalina abberuft, um dann mit dem Segen der Kirche eine neue Ehe zu schließen. Henry ist kein Reformer, Waringham. Im tiefsten Grunde seines Herzens sehnt er sich nach einer Versöhnung mit dem Papst und fürchtet Gottes Zorn. Den er für nichts und wieder nichts auf sich gezogen hat. Was glaubt Ihr wohl, wem er die Schuld an diesem Scherbenhaufen geben wird?«
    »Anne Boleyn natürlich. Hätte sie mir nicht ins Bein geschossen, könnte ich in Versuchung geraten, sie zu bedauern. Aber die Frage bleibt: Wie will er sie loswerden?«
    »Tja, wer weiß.« Chapuys lächelte boshaft. »Ich schlage vor, lehnt Euch zurück und genießt das Schauspiel, Mylord.«

London, Mai 1536
    Das Schauspiel begann am zweiten Mai, nur hätte Nick sich niemals träumen lassen, dass er in der ersten Reihe sitzen würde.
    Es war Frühling geworden. Das Gras und die vereinzelten Bäume auf dem Tower Hill leuchteten in jungem Grün, und auf dem Rückweg von der Kapelle hatte Nick nicht zum ersten Mal festgestellt, dass der Sonnenschein selbst den ehernen Türmen und dicken Mauern des Tower ihren Schrecken nahm.
    Er saß am offenen Fenster und las, als die Tür zu seinem Quartier sich öffnete und der Constable über die Schwelle trat.
    »Mylord, ich bedaure die Unannehmlichkeiten, aber es wird ein bisschen voll im Tower, und darum muss ich vorübergehend einen Gefangenen hier bei Euch einquartieren.«
    »Fabelhaft«, knurrte Nick, klappte sein Buch zu und stand auf. »Und mit wem habe ich die Ehre?«
    Ehe Kingston antworten konnte, führten zwei Yeoman Warders einen barhäuptigen Mann herein. Seine Handgelenke steckten in eisernen Schellen. Sein Hemd war bis zur Brust geöffnet, seine Obergewänder waren verschwunden, das Haar zerzaust – er sah so radikal verändert aus, dass Nick einen Moment brauchte. Dann erkannte er ihn: »George Boleyn?«
    »Lord Rochford, um korrekt zu bleiben«, verbesserte der Constable ihn mit leisem Tadel.
    Der Bruder der Königin lächelte kläglich. »Ich glaube, auf die schönen Titel sollten wir in Anbetracht der Umstände lieber verzichten.« Er bemühte sich, kühl und gelassen zu wirken, aber seine Augen waren wie vor Schreck geweitet.
    Nick wandte sich mit finsterer Miene an den Constable. »Was immer das zu bedeuten hat, ich will nichts damit zu schaffen haben, Sir William.«
    »Tja, wie ich sagte. Ich habe keinen anderen Platz für ihn. Mich hat ebenfalls niemand gefragt, ob diese Sache mir gefällt, Mylord, und ich fürchte, auch auf Eure Wünsche wird niemand Rücksicht nehmen.«
    »Nun, das passiert mir in letzter Zeit so oft, dass ich mich vielleicht noch daran gewöhne«, gab Nick verdrossen zurück.
    Kingston nickte unverbindlich und wies die Wachen an: »Nehmt ihm die Ketten ab.«
    Während der Sergeant der Yeoman Warders die Schlösser der Handfesseln aufsperrte, sah George Boleyn sich in dem hohen Gemach um, das, verglichen mit anderen im Tower, großzügig bemessen, aber zu klein für zwei Gentlemen war. »Wo in aller Welt soll mein Page schlafen?«, fragte er, die Stimme ein wenig brüchig.
    Nick wusste aus eigener Erfahrung, dass einem die belanglosesten Dinge durch den Sinn schossen, wenn man unversehens in eine Katastrophe schlitterte. »Ihr habt einen Pagen mitgebracht?«
    Boleyn nickte, wandte den Kopf zur Tür und rief: »Wo steckst du, Lümmel? Komm schon rein.« Und an Nick gewandt fügte er hinzu: »Mein Cousin, Raymond Howard. Ich nehme an, Ihr kennt ihn?«
    Nick verbarg seinen Schrecken und zog die linke Braue hoch. »Flüchtig. Er ist mein Bruder.«
    »Gott, natürlich …« George Boleyn stierte einen Moment auf seine Hände hinab, betrachtete Handrücken und -innenflächen, als wolle er feststellen, ob die Eisenschellen sie irgendwie verändert hätten. Dann strich er sich fahrig mit der Linken über die Stirn und sah sich noch einmal um.
    Raymond trat über die Schwelle, der Constable und die Wachen gingen hinaus und verriegelten die Tür. Einen Moment blickten die Brüder sich wortlos an. Wie groß er geworden ist, dachte Nick staunend. Raymond war dreizehn, höchstens noch einen Kopf kleiner als sein Bruder, und er wirkte

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