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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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hatte.
    Der Junge hob die Axt über den Kopf und wäre unter ihrem Gewicht um ein Haar nach hinten getaumelt. Die Menge kicherte.
    Dann ließ er die Klinge niederfahren. Knirschend drang sie in den Hinterkopf ein. Cromwells eigentlich kleine Augen weiteten sich, und als er den Mund aufriss, drangen ein gellender Schrei und dann ein wasserfallartiger Blutstrom heraus.
    »Oh, Mist …«, keuchte der Scharfrichter, stellte den linken Fuß auf den Block, befreite die Axt und hob sie wieder. Der zweite Hieb traf den Nacken, aber auch er trennte den Kopf nicht vom Rumpf.
    Der bedauernswerte Knabe geriet in Panik, und der dritte Streich ging so weit fehl, dass die blutverschmierte Klinge das Rückgrat irgendwo zwischen den Schultern zertrümmerte.
    Nach dem vierten Hieb lebte Cromwell immer noch, und niemand auf dem Tower Hill lachte mehr. Es war so still geworden, dass Nick den Constable mühelos hörte, der dem Henker zuraunte: »Ganz ruhig. Atme tief durch. Dann heb das Beil und lass dir Zeit, es auszubalancieren. Konzentriere deinen Blick auf den Nacken. Hab keine Furcht. Er spürt nichts mehr. Jetzt mach ein Ende, mein Sohn.«
    Der Unglücksrabe nahm sich zusammen, befolgte die guten Ratschläge, führte die Klinge in einem sicheren Bogen, und endlich, endlich fiel Thomas Cromwells Kopf. Er war ein groteskes, formloses Ding, und als einer der Yeoman Warders ihn beim Schopf packte und hochhielt, war der Jubel der Londoner gedämpft.
    Der Constable gab der Wache hoch oben auf den Zinnen des Tower ein Zeichen, und im nächsten Moment donnerte der Kanonenschuss.
    »Na bitte«, sagte Nick und verschränkte die Arme vor der Brust. »Es hat ein bisschen gedauert, aber jetzt ist Thomas Cromwell aus der Welt geschafft. Und ich muss mich sputen.«
    »Ihr wollt zur königlichen Hochzeit?«, tippte Jenkins.
    »Ich muss zur königlichen Hochzeit«, verbesserte Nick. »Denn ich habe eine Einladung bekommen – vermutlich aufgrund irgendeines Irrtums.«
    »Darf ich Euch einen Rat geben, Mylord?«, fragte der Yeoman Warder.
    »Bitte.«
    »Zieht Euch um.«
    Nick schaute an sich hinab. Wams, Hosen und Schaube waren mit Cromwells Blut bespritzt.
    Die Hochzeit fand im Oatlands Palace statt, einer eher bescheidenen königlichen Residenz, die ein Stück außerhalb der Stadt in Surrey lag. Nick hatte keinen Platz in der Kapelle gefunden, die viel zu klein war, um die rund dreihundert Geladenen aufzunehmen, aber beim anschließenden Bankett wies man ihn zu einem der unteren Tische in der großen Halle.
    Von dort beobachtete er den Einzug der königlichen Familie: Henry hatte in den drei Jahren seit der Taufe seines Kronprinzen ordentlich zugelegt, wie alle sagten, und das Hinken hatte sich verschlimmert. Ein Koloss in der Tat: mindestens einen Fuß größer und dreimal so breit wie die zierliche, blutjunge Braut an seiner Seite. Aber seine Garderobe war perfekt und königlich wie eh und je, und seine Augen strahlten, sobald er Katherine anschaute. Die Braut, die notgedrungen zu ihm aufsehen musste, erweckte glaubhaft den Anschein, ihn anzuhimmeln. Genau wie einst ihre Cousine Anne Boleyn war auch Katherine Howard mit so vielen Juwelen und Perlen behängt, dass man sich fragte, wie sie sich aufrecht hielt. Nick fand sie weder so schön noch so verzweifelt, wie er nach Raymonds Beschreibung erwartet hatte. Aber Schönheit lag bekanntermaßen im Auge des Betrachters, und eine Königin war immer gut beraten, ihre Gefühle zu verbergen. Das galt bei diesem König ganz besonders.
    Dem Brautpaar folgten Prinz Edward an der Hand von Lady Margaret Bryan, die das Amt der Ersten Gouvernante bekleidete, dann Mary und Elizabeth. Auch ihre Cousine Frances Brandon nahm an der königlichen Tafel Platz, zusammen mit ihrem Vater, dem Duke of Suffolk. Und »Bruder Norfolk« durfte natürlich auch nicht fehlen, war er doch der nächste männliche Verwandte der neuen Königin und hatte das Glück dieses Tages obendrein eingefädelt …
    »Prinzessin Mary ist fast zehn Jahre älter als ihre neue Stiefmutter, ist Euch das schon mal in den Sinn gekommen?«, raunte eine vertraute Stimme in Nicks Ohr.
    Der schüttelte missbilligend den Kopf. »Wie uncharmant, Chapuys. Es sind nur sieben Jahre.«
    Der Gesandte setzte sich neben ihn. »Nun, der König wäre jedenfalls alt genug, ihr Großvater zu sein.«
    »Worüber regt Ihr Euch eigentlich auf? Er ist glücklich, sie sieht auch ganz zufrieden aus, und Norfolk ist ebenfalls glücklich. Er wird Cromwells Platz

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