Der dunkle Thron
Gesandte zu. »So ist es. Die Schwestern von Wetherby waren nicht die einzigen, die eine solche Lösung gewählt haben, und Cromwell hat es auch nicht verboten. Aber die Wertgegenstände – Kruzifixe aus Gold und Silber, juwelenbesetzte Reliquiare und so weiter –, die seine Kommissare nach London brachten, deckten sich nicht mit der Liste. Es fehlten zwei Messkelche im Wert von etwa zweihundert Pfund.«
Nick pfiff vor sich hin. Zweihundert Pfund waren ein Vermögen. »Das wird Cromwell nicht gefallen haben.«
»Nein. Und er schickte Sir Edmund Howard nach Yorkshire, um Lady Katherine und ihre Schwestern zu fragen, was aus den Kelchen geworden sei.«
»Edmund Howard?«
»Ja, Waringham, der Vater der neuen Königin«, gab Chapuys untypisch gereizt zurück. »Ich nehme nicht an, dass Ihr ihn gekannt habt?«
»Er war der Bruder meiner Stiefmutter. Wir hatten ein paar unschöne Begegnungen, als er nach dem Tod meines Vaters unbedingt Steward von Waringham werden wollte.«
Chapuys schnaubte angewidert. »Das kann ich mir vorstellen. Er war ein Schmarotzer und Faulpelz, immer auf der Jagd nach einem gut bezahlten Posten, der keine Arbeit machte. Aber nicht einmal sein Bruder Norfolk hat ihn gefördert. Er kannte ihn zu gut. Als Edmund Howard letztes Jahr starb, habe ich Norfolk selbst sagen hören: ›Gepriesen sei Gott, dass er mich von dieser Sorge erlöst hat.‹«
»Ja, ich bin auch nicht gerade in Wehklagen ausgebrochen, als ich davon erfahren habe. Aber Cromwell hat Verwendung für Edmund Howard gefunden. Nun, ich bin nicht überrascht. Und … ich ahne Fürchterliches.«
»Ihr ahnt richtig«, gab Chapuys grimmig zurück. »Waringham, ich weiß, Ihr seid ein Ehrenmann, aber ich habe trotzdem mit mir gerungen, ob ich Euch von dieser Sache erzählen soll. Nicht viele wissen davon. Und so muss es auch bleiben.«
Nick wandte den Kopf und sah ihn an. Dann nahm er die Linke vom Zügel und küsste seinen Siegelring. »Ich schwöre bei meinem Namen, niemals zu wiederholen, was Ihr mir offenbart.«
Chapuys nickte und atmete tief durch. »Edmund Howard hat für Cromwell und die Augmentationskammer verschiedentlich Nachforschungen über verschwundene Wertgegenstände aus Klostervermögen angestellt. Er hatte eine Handvoll übler Gesellen angeheuert, mit denen er die ehemaligen Äbte und Oberinnen einschüchterte. Mit diesem Gesindel kam er auch nach Yorkshire und suchte Lady Katherine und ihre Mitschwestern auf ihrem abgelegenen Gut heim. Sie überfielen sie nachts und steckten ihnen das Dach über den Köpfen an. Dann trieben sie die verängstigten Nonnen in die Kapelle, fesselten sie, rissen ihnen die Nachthemden vom Leib …« Er brach ab.
Nick stierte auf die Ohren seines Pferdes und wünschte, er könne die Zeit zurückdrehen und Cromwells grauenvolle Hinrichtung noch einmal sehen, seine Schreie noch einmal hören. Denn im Lichte dessen, was er hier gerade erfuhr, hätte er das ohne den Funken Mitgefühl gekonnt, der sich in ihm geregt und ihn so verstört hatte.
»Wollt Ihr hören, was sie mit Lady Katherine getan haben, um zu erfahren, wo die verschwundenen Kelche waren?«, fragte Chapuys.
»Nein, lieber nicht.«
»Sie starb. Und auch die meisten der Schwestern kamen ums Leben, denn Howard und seine Halunken sperrten sie ein, als sie sich genug vergnügt hatten, und steckten die Kapelle in Brand. Nur zwei der Nonnen entkamen den Flammen.«
»Wie?«, fragte Nick und räusperte sich, weil seine Stimme so matt und belegt klang.
»Das weiß ich nicht.«
Es war eine Weile still. Sie überholten einen Bauern mit einem hochbeladenen Ochsenkarren, und wenig später mussten sie einem königlichen Meldereiter ausweichen, der ihnen entgegenkam und ritt, als seien alle Dämonen der Hölle hinter ihm her. Je näher sie der Stadt kamen, desto belebter wurde die Straße.
»Und wie habt Ihr all das erfahren, wenn es so ein wohlgehütetes Geheimnis ist?«, fragte Nick Chapuys schließlich.
»Edmund Howard hat es auf dem Sterbebett gebeichtet.«
»Wenn Gott gerecht ist, schmort Howard trotzdem in der Hölle …«
Der Gesandte deutete ein Schulterzucken an. »Sein Beichtvater hat es mir anvertraut, weil er wollte, dass ich den Kaiser wissen lasse, welch ein Monstrum die neue Königin gezeugt hat.«
»Und? Habt Ihr das?«
Chapuys schüttelte den Kopf. »Wozu sollte das dienen? Wie ich Euch schon mehrfach gesagt habe, Mylord: Hätte der Kaiser die Absicht, England mit Kanonen und Schwertern zurück in den Schoß
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