Der dunkle Thron
sich und stand auf. »Lass uns gehen. Es ist mir unangenehm, in der Gegenwart Gottes über so anstößige Dinge zu sprechen.«
Nick war unbegreiflich, was sie an ihren ständig wechselnden Verlöbnissen anstößig finden konnte, zumal die meisten der Kandidaten ihr nie näher gekommen waren als bis Paris. So betrachtet, mochte man über Pfalzgraf Philipp sagen, was man wollte, aber er zumindest hatte sich die Mühe gemacht, persönlich in England zu erscheinen und seiner Braut den Hof zu machen. Wenn vielleicht auch ein bisschen zu stürmisch …
Marys grundsätzliche Aversion gegen die Ehe befremdete Nick immer ein wenig. Er fühlte sich auf unbestimmte Weise gekränkt.
»Begleitet dein Bruder den König nach Norden?«, fragte sie, als sie zurück Richtung Eingangshalle schlenderten.
Wohl eher die Königin , dachte Nick, aber er nickte lediglich. Mary sollte nicht merken, in welcher Sorge er um Raymond war.
»Das beruhigt mich«, bekannte sie. »Mir will manchmal scheinen, der König hat nicht genügend wirklich vertrauenswürdige Männer um sich. Natürlich trägt er selbst die Schuld, weil er sich lieber mit Schmeichlern und Speichelleckern umgibt. Das gilt ganz besonders für meine hinreißende Stiefmutter. Ich traue ihr nicht, Nick.«
»Inwiefern?«
Mary blieb an einem der Fenster zum Garten stehen und blickte in den freudlosen Nieselregen hinaus. »Irgendetwas stimmt nicht mit ihr. Sie ist irgendwie … unecht. Ich kann einfach nicht glauben, dass irgendeine Frau von Stand so einfältig sein kann, wie sie tut. Stell dir vor, sie hat mich einmal gefragt, ob der König immer genau wisse, was jeder seiner Untertanen dem Priester bei der Beichte anvertraut, ob Gott es ihm gewissermaßen zuflüstert, weil der König doch im Stande göttlicher Gnade sei.«
Nick musste lächeln. »Einfältig in der Tat. Ich schätze, so viele dunkle Geheimnisse wären selbst für einen König zu viel. Was hast du ihr geantwortet?«
»Ich habe Ja gesagt. Ich habe ihr erklärt, es habe nichts mit göttlicher Gnade zu tun, sondern damit, dass der König seit der Reform Gottes Stellvertreter in England ist.«
»Wie gehässig du sein kannst, Hoheit«, bemerkte er. »Und verschlagen.«
Sie nickte, als nehme sie ein wohlverdientes Kompliment zur Kenntnis. »Seither geht die Königin nicht mehr zur Beichte, Nick. Ihr Kaplan hat sich bei Erzbischof Cranmer darüber beschwert, der es wiederum dem König vorgetragen hat, aber Vater findet natürlich für alles, was sie tut oder nicht tut, eine Entschuldigung.«
»Ja, das ist sonderbar«, musste Nick einräumen, und er betete, es möge keine Affäre mit seinem Bruder sein, die die Königin nicht zu beichten wagte.
»Jetzt frage ich mich … ob ich verpflichtet bin, meinen Vater über diese eigenartige Unterhaltung zu informieren. Ihm die Augen zu öffnen. Er ist so ein Tor, Nick. Er macht sich lächerlich mit diesem ewigen Geturtel. Ich halte es kaum aus, das mitanzusehen.«
»Er wird es dir nicht danken, wenn du Verdächtigungen gegen die Königin äußerst, um ihn wachsam zu machen«, warnte er eindringlich.
»Nein, ich weiß. Aber das hätte ich in Kauf genommen. Nur jetzt … Jetzt, da er meine Lady Margaret hat umbringen lassen, bin ich so zornig auf ihn, dass es mich dazu drängt, ihn ins offene Messer laufen zu lassen. Ich schäme mich dafür. Und ich weiß, dass meine Verbitterung Gott nicht gefällig ist. Aber ich kann es nicht ändern.«
»Du bist zu Recht verbittert«, sagte er. »Ich schätze, der König hat mehr Grund als du, sich wegen dieser Sache vor Gottes Zorn zu fürchten.«
»Aber er ist mein Vater«, wandte sie ein. »Das heißt, ich schulde ihm Loyalität und Gehorsam. Du weißt, dass das in der Bibel steht. Doch stattdessen wünsche ich mir, zu erleben, dass endlich einmal er derjenige ist, der verletzt und gedemütigt wird. Und das ist … schrecklich.«
Nick kannte sie gut genug, um zu wissen, dass ein solcher Konflikt sie wirklich quälen konnte. All die finsteren Monate ihrer Gefangenschaft hatte Mary durchgehalten, weil sie von der Überzeugung durchdrungen gewesen war, im Einklang mit Gott und seinen Geboten zu handeln. Sie sah sich in der Tradition ihrer Mutter – die in Marys Augen eine Art Märtyrerin war – und nicht zuletzt ihrer Großmutter, jener berühmten »katholischen Königin«, die die Mauren aus Spanien gejagt und, wie Nick inzwischen aus weniger verklärten Quellen gelernt hatte, einen grausamen Kreuzzug gegen die Juden
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