Der dunkle Thron
und Nacken. »Versteh mich nicht falsch; Mary würde niemals gutheißen, dass Bonner einen Knaben auf den Scheiterhaufen gestellt hat. Aber prinzipiell würde sie ihm recht geben. Und ich drücke mich lieber noch ein bisschen davor, mir das anhören zu müssen, denn ich weiß, wir werden darüber streiten.«
Madog warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Du hast doch hoffentlich keine Angst vor deiner Prinzessin, Mylord?«
»Nein.« Es klang verdrossen. »Aber wenn sie …«
»Nick?«, unterbrach ihn eine Stimme in seinem Rücken, und er wandte sich um.
»Ray …«
Nick rang darum, sich den Schrecken nicht anmerken zu lassen, der ihm beim Anblick seines Bruders in die Glieder fuhr. Raymonds Kleider waren schmutzig und zerknittert. Er war unrasiert und hohlwangig, und seine Augen waren gerötet, als hätte er nächtelang nicht geschlafen.
Madog nickte ihm zu. »Willkommen zu Hause, Raymond.«
»Danke.« Raymond versuchte ein Lächeln, aber es wollte nicht glücken.
»Nick, ich bin in der Schmiede, falls du mich suchst«, sagte der Steward und wandte sich ab.
Gott segne dich für dein Feingefühl, dachte Nick dankbar. Dann musterte er seinen Bruder eingehend. »Bist du … auf der Flucht?«
Raymond senkte den Blick und schluckte sichtlich. »Ich weiß es nicht genau«, bekannte er.
»Du siehst so aus, als müsstest du dringend etwas essen. Und ausruhen. Kannst du mit auf die Burg hinaufkommen, oder denkst du, es wäre gesünder, dich im Wald zu verstecken?«
»Mir ist niemand auf den Fersen.« Es klang fast eine Spur entrüstet.
Der ältere Bruder nickte und führte ihn wortlos über den Mönchskopf, den Burghügel hinauf und in den Innenhof von Waringham Castle. Es war ein windiger, bedeckter Tag Anfang Oktober, und der Wein, der den Bergfried bedeckte, war eine leuchtende rote Pracht.
Raymond blieb einen Moment stehen und sah daran empor. »Es ist wirklich wunderschön.«
»In drei Wochen sagst du das nicht mehr«, entgegnete Nick trocken und öffnete den rechten Torflügel. Auf der Treppe begegneten sie einer jungen Magd, die hier die Arbeit versah, welche früher Polly erledigt hatte. »Josephine, sei so gut und bring uns Wein und Brot und so weiter.«
»Ich will nichts, Nick«, widersprach Raymond.
Nick ignorierte ihn. »Du hast mich gehört«, sagte er zu Josephine.
»Sofort, Mylord.«
Die Brüder betraten das Gemach über dem Rosengarten. Die Fensterflügel klapperten ein wenig im Herbstwind, aber ein lebhaftes Feuer prasselte im Kamin, und es war einigermaßen warm. Wie so oft lag Nicks englische Bibel aufgeschlagen auf dem Tisch, eine Schale mit Birnen stand daneben. Der Raum wirkte verblüffend behaglich für ein Gemach in einer vierhundert Jahre alten Festung.
Raymond sank müde auf einen der Brokatstühle, stützte die Ellbogen auf den Tisch und drückte mit einem leisen Stöhnen das Kreuz durch.
»Du kommst aus York?«, tippte Nick.
»Aus Hull. Mehr oder weniger ohne Pause. Der Hof … weilt nicht mehr in York.« Trotz des Kaminfeuers schien er leicht zu frösteln.
Nick holte eine Wolldecke vom Bett und hing sie ihm kommentarlos über die Schultern, ehe er sich ihm gegenüber an die Wand lehnte. Er wartete, bis Josephine ein Tablett mit Weinkrug, Brotlaib und einem dicken Keil Schafskäse gebracht hatte, ehe er fragte: »Was ist passiert?«
Raymond antwortete nicht sofort, als müsse er sich die Frage erst durch den Kopf gehen lassen. Schließlich erwiderte er: »Ich war drei Tage und Nächte unterwegs. Und der einzige Gedanke, dessen ich fähig bin, den ich die ganze verdammte Zeit lang in meinem Kopf hin- und herwende, ist: Wie kann man so blind sein? Wie kann man sich so vollkommen in einem anderen Menschen täuschen?«
Nick fragte ihn nicht, von wem er sprach. Er trat an den Tisch, schenkte seinem Bruder ein Glas Wein ein, schnitt ihm Brot und Käse ab und forderte ihn mit einer Geste auf, zu essen und zu trinken.
Raymond griff zu, aber abwesend und lustlos, als tue er Nick einen Gefallen.
Der setzte sich ihm gegenüber und wartete, scheinbar geduldig, in Wahrheit jedoch mit einem schmerzhaften Knoten im Bauch.
Nach zwei Bissen legte Raymond das Brot beiseite, nahm aber einen ordentlichen Zug Wein. »Ich schätze, du bist nicht sonderlich überrascht, wenn ich dir gestehe, dass ich ein Verhältnis mit der Königin hatte?«, fragte er dann betont brüsk.
»Nein. Ich bin höchstens ein wenig überrascht, dass sie so ein Risiko eingeht. Seit wann?«
»Kurz nach Ostern. Als
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