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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Dunkelheit solltest du ohnehin nicht aufbrechen. Also: Du schläfst, ich packe dir ein paar Sachen zusammen und so weiter. Und wenn du dich ausgeschlafen hast, überlegen wir, wohin du gehst.«
    Raymond schien ein wenig zu wanken, als er aufstand, aber er rang sich ein kleines Lächeln ab. »Danke, Nick.«
    Der winkte ab und trat zur Tür. »Dafür hat man einen Bruder, oder?« Und im Hinausgehen dachte er: Was immer jetzt wird; solange Henry König ist, kannst du nicht mein Erbe sein …
    Nick suchte ordentliche, aber unauffällige Kleider heraus. Er packte Brot, Wurst und einen Weinschlauch in einen Proviantbeutel und füllte eine Lederbörse mit mehr Geld, als er eigentlich erübrigen konnte. Er tat all diese Dinge mit höchster Konzentration, aber gleichzeitig dachte er unablässig darüber nach, wo auf dem Kontinent sein Bruder Unterschlupf suchen sollte, wer ihm helfen konnte und wie lange er wohl würde fortbleiben müssen. Er erinnerte sich, dass eine Cousine seines Großvaters einen bretonischen Edelmann geheiratet hatte, und nachdem er eine Weile in alten Briefen und Dokumenten herumgekramt hatte, fand er auch den Namen: Hugo Sant-Brieg. Seine bescheidenen Ländereien lagen in der Nähe von Vannes. Nick griff nach Papier und Tintenhorn, als Madog den dämmrigen Raum gegenüber von Nicks Gemach betrat, der ihnen als Schreibstube und zur Aufbewahrung alter Abrechnungen und Dokumente diente.
    »Was treibst du da?«, fragte der Steward.
    Nick sah nicht von seinem Brief auf. »Die Schwester deines Großvater heiratete einen gewissen Hugo Sant-Brieg, richtig?«  
    »Aus Vannes«, bestätigte Madog.
    »Habt ihr Kontakt zu ihren Nachfahren?«
    »Der Letzte, von dem ich weiß, ist ein gewisser Justin Sant-Brieg. Aber keine Ahnung, ob er noch unter den Lebenden weilt, er ist mindestens zwanzig Jahre älter als wir.«
    »Falls er noch lebt, denkst du, er kann Latein?« Nick tippte auf seinen Brief.
    »Ganz bestimmt. Warum?«
    »Ich schicke Raymond zu ihnen. Er muss England verlassen. Ich kann nur hoffen, dass sie ihm trotz der ziemlich weitläufigen Verwandtschaft weiterhelfen.«
    Madog hob kurz die Schultern. »Falls nicht, muss er eben allein zurechtkommen. Wer alt genug ist, sich in Schwierigkeiten zu bringen, sollte auch alt genug sein, sich wieder herauszuwinden.«
    »Wer wüsste das besser als du«, spöttelte Nick.
    Madog wartete, bis der kurze Brief fertig war, ehe er fragte: »Was hat er angestellt?«
    Nick löschte die Tinte mit ein wenig Sand aus einem bereitstehenden Behälter und hielt einen Riegel Wachs über die Kerze. Den Blick auf die Flamme gerichtet, antwortete er: »Solltest du in nächster Zeit wieder einmal Gerüchte hören, die Königin von England sei ein treuloses Weib, kannst du getrost davon ausgehen, dass es dieses Mal stimmt.«
    Madog stieß einen ungewohnt langen, walisischen Fluch aus und sank auf einen Schemel am Schreibtisch. »Wenn das herauskommt und dein Bruder ist nicht hier, um zu büßen, wird Henry einen Weg finden, es an dir auszulassen.«
    Nick ließ Wachs auf sein zusammengefaltetes Schreiben tropfen und drückte den Siegelstempel darauf. Dann sah er seinen Steward an. »Wenn es herauskommt, Madog, wird mein Bruder nicht der Einzige sein, der des amourösen Hochverrats überführt wird.«
    »Allmächtiger …«
    »Und es könnte durchaus passieren, dass der König vor Kummer krepiert. Denn wenn es einen Mann gibt, der noch rettungsloser in Katherine Howard verliebt ist als mein armer Bruder, dann ist es Henry.«
    Madog, wie so oft hin- und hergerissen zwischen Unverständnis und Mitgefühl für seinen Cousin, den König, grollte: »Dieses verdammte kleine Früchtchen.«
    Nick wedelte mit dem Brief, um das Wachs zu trocknen. »Ich schätze, sie wird bezahlen. Teuer.«
    Madog nickte düster. »Ich habe so ein mieses Gefühl, als würde diese Sache uns alle teuer zu stehen kommen.«
    Nick gab ihm insgeheim recht, aber er hatte jetzt zum Glück keine Zeit, sich damit zu befassen, denn die Dämmerung brach bereits herein. Mit dem Brief in der Hand kehrte er in sein Gemach zurück, aber zu seiner Überraschung war der Bettvorhang zurückgezogen und Raymond verschwunden. Die Speisen waren so unberührt wie zuvor. Nick setzte sich an den Tisch, trommelte ungeduldig mit den Fingern, aß eine Birne und wartete.
    Als es dunkel war, machte er sich auf die Suche. Simon und Madog schlossen sich ihm an, und systematisch durchkämmten sie den Bergfried vom Dachboden bis zu den Verliesen.

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