Der dunkle Thron
Kessel, damit Speck und Gemüse nach oben schwammen, und füllte die nächste Schale. »Deine Sicht der Welt ist hoffnungslos antiquiert, fürchte ich«, bemerkte sie trocken.
»Ist sie das?«, fragte er leise, mehr sich selbst als sie.
»Was führt dich her?«, wollte Lady Meg wissen. »Ich hätte gedacht, du seiest erleichtert, der Schulbank entkommen zu sein. Aber hier bist du wieder. Haben wir dir so gefehlt?« Ihre blauen Augen funkelten immer, wenn sie lächelte, und in ihren Mundwinkeln bildeten sich Grübchen. Aber Nick wusste, es konnte nur Einbildung sein, wenn er manchmal glaubte, sie tändele ein klein wenig mit ihm. Sie war zehn Jahre älter als er, eine verheiratete Dame und ihre Tugend über jeden Zweifel erhaben.
»Ihr habt es nicht gehört?«, fragte er leise und reichte die nächste Suppenschale über den Tisch. Die Bänke füllten sich allmählich.
»Ich höre in letzter Zeit verdächtig wenig«, eröffnete sie ihm. »Mein Vater und mein Gemahl stecken ständig die Köpfe zusammen, aber weder der eine noch der andere lässt mich teilhaben an seinen Gedanken. Das war einmal anders.«
»Vermutlich wollen sie Euch schützen. Es sind ungewisse Zeiten, und Ihr habt das Herz immer auf der Zunge.«
»So wie du«, konterte sie. »Also?«
»Kardinal Wolsey hat meinen Vater verhaften lassen.«
Lady Meg ließ die Suppenkelle sinken und sah ihn mit schreckgeweiteten Augen an. Plötzlich war ihre Miene sehr ernst. »Komm«, sagte sie leise. »Lass uns zusehen, dass wir fertig werden. Das hier ist nicht der geeignete Ort.«
Einträchtig und routiniert teilten sie die Armenspeisung aus, und als alle Bettler ihre Suppe bekommen hatten, gingen Lady Meg und Nick durch die Reihen, sprachen ein paar Worte mit ihren Gästen, lauschten ihren Klagen und versuchten, ihnen ein wenig Mut zu machen. Diesen Teil hatte Nick früher immer gescheut, und wäre Lady Meg nicht gewesen, hätte er sich vielleicht genauso gedrückt wie Martin. Die Verzweiflung dieser Menschen, ihre Lumpen und der Geruch ihrer ungewaschenen Leiber – manchmal hatte man das Gefühl, in all dem Elend zu ertrinken. Aber heute empfand Nick die Aufgabe als eigentümlich tröstlich. Sie lenkte ihn von seinem eigenen bohrenden Kummer ab und linderte das Gefühl völliger Handlungsunfähigkeit.
»Mein Vater sagt gern, ein gutes Werk zu tun sei Balsam für die geplagte Seele«, bemerkte Lady Meg, als sie einige Zeit später allein in der aufgeräumten Armenküche saßen, jeder eine Schale Suppe vor sich.
Nick nahm einen Löffel und fragte sich, wie es nur kam, dass sie immer seine Gedanken lesen konnte. »Stimmt es, dass die Ketzer glauben, gute Werke haben keinen Einfluss darauf, ob eine Seele in den Himmel oder in die Hölle kommt?«
Lady Meg sah ihn forschend an und nickte dann. »Sie sagen, allein Gottes Gnade könne die Seele erretten, und wer errettet werde und wer nicht, stünde schon vor der Geburt des Menschen fest.«
Was für ein Blödsinn, dachte Nick. Sollte es wirklich möglich sein, dass sein kluger Vater an solch einen Gott glaubte, der Heil und Verdammnis willkürlich verteilte? Im Losverfahren sozusagen? Mit einem Mal musste Nick gegen Tränen ankämpfen. Er war so wütend, so verwirrt und ratlos. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, ergriff entschlossen den Löffel, ließ ihn aber wieder sinken.
Lady Meg legte die Rechte auf seine Linke, die zu einer losen Faust geballt auf dem blank gescheuerten Tisch lag. »Erzähl mir, was passiert ist, Nicholas.«
»Ein Mann namens Cromwell erschien in Waringham und hat meinen Vater verhaftet. Mit bewaffneter Eskorte und nach Einbruch der Dunkelheit, so als wäre mein Vater ein gefährlicher Verbrecher.«
Sie runzelte die Stirn. »Kardinal Wolseys Sekretär?«
Er nickte und hob gleichzeitig die Schultern.
»Mein Vater sagt, dieser Cromwell werde es noch weit bringen«, berichtete Lady Meg. »Und er sieht nicht glücklich aus, wenn er das sagt.«
Nick erzählte ihr das wenige, was er wusste. »Aber wenn mein Vater schwört, er habe dieses Vorwort nicht geschrieben, dann ist es wahr, Lady Meg«, schloss er. »Nur wie soll er sich verteidigen und seine Unschuld beweisen, wenn er eingesperrt ist? Ich muss mit Sir Thomas sprechen. Wenn ich ihm die Lage erkläre, wird er uns helfen, das weiß ich genau.«
Lady Meg hatte die Stirn gerunzelt und dachte nach. »Ja, das solltest du«, sagte sie schließlich. »Und falls du meinen Rat willst: Warte nicht hier auf ihn. Wenn dein Vater Opfer
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