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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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hervorgebracht hat. Er wird wissen, was wir tun müssen.«
    »Aber was wird Sumpfhexe sagen, wenn du einfach verschwindest?«, fragte Laura untypisch verzagt.
    »Das interessiert mich nicht, denn ich werde nicht hier sein, um es zu hören«, entgegnete er mit mehr Entschlossenheit, als er empfand.

Chelsea, Oktober 1529
    Er ritt bis nach Southwark, stellte sein Pferd im Stall einer der zahllosen Schenken ein und ging die Stufen hinab, die zur Anlegestelle der Mietboote führten. Auf dem Fluss kam man wesentlich schneller von einem Ende der großen Stadt zum anderen als hoch zu Ross durch Londons verstopfte Straßen, und es hatte den Vorteil, dass man sich nicht verirren konnte. Es war Ebbe; Tierkadaver, die von Ratten und Fischen angenagt waren, Treibholz und Unrat durchzogen den grauen Uferschlamm und hatten Scharen von Möwen angelockt, die niedrig darüber hinwegsegelten und sich um die Leckerbissen zankten. Der junge Waringham blickte zur anderen Themseseite hinüber. Grau und abweisend ragte die äußere Ringmauer des Tower dort auf, und seine Türme schienen sich bis in den grauen Himmel emporzurecken. Die Standarte mit dem geviertelten Wappen des Königs flatterte unstet in der feuchten Brise, und kein Mensch war zu sehen. Die alte Festung wirkte so unüberwindlich wie ein Bergmassiv. Irgendwo in einem der zahllosen Türme war sein Vater, wusste Nick. In einem Quartier in luftigen Höhen mit einem schmalen Fenster und Blick auf den Richtblock? Angekettet in einem feuchten Kellerloch? War er verzweifelt? Zornig? Fürchtete er sich? Gaben sie ihm genug zu essen? Ein paar Bücher, wenigstens eine Bibel?
    Unmöglich zu erraten.
    Nick spürte sein Herz bleischwer werden und zwang sich, den Blick abzuwenden, damit er nicht den Mut verlor, ehe er sein Unterfangen noch richtig begonnen hatte. Eines der schmalen, länglichen Wherrys machte gerade fest. Zwei fein gekleidete Gentlemen in der Livree der Weinhändlergilde stiegen aus und schlenderten Seite an Seite davon, die Köpfe einander zugeneigt, offenbar in ein ernstes Gespräch vertieft. Nick bestieg das Bötchen und setzte sich auf die Passagierbank hinter dem Mast mit dem kleinen, viereckigen Segel. »Chelsea.«
    »Zu Sir Thomas More, he?«, tippte der Bootsführer.
    »Wie kommst du darauf?«, fragte Nick stirnrunzelnd.
    Der Mann hob die massigen Schultern. »Gibt nicht viel in Chelsea, wohin es einen feinen jungen Pinkel wie dich treiben könnt’.«
    Nick verzog den Mundwinkel zu einem freudlosen kleinen Lächeln. Die Londoner Wherrymen – die Mietbootführer – waren stolz auf ihre Unverfrorenheit, wusste er. Aber ihm stand heute nicht der Sinn nach albernem Geplänkel. Er wandte den Kopf und schaute auf die Themse hinaus, auf der reger Verkehr herrschte: Lastkähne, Fischerboote, bunt bemalte Barken reicher Kaufherrn und Handelssegler – auf diesem Fluss war alles unterwegs, was schwimmen konnte. Auch ungezählte Schwäne, und sie gehörten allesamt dem König. Der böige Wind blies ungemütlich übers Wasser, und Nick fröstelte.
    Der Bootsführer legte sich in die Riemen. Flussaufwärts zu rudern war harte Arbeit, und das kleine Segel bot nur wenig Unterstützung. Nick sah Kaianlagen und Lagerhäuser vorbeiziehen, dann fuhr das Bötchen unter der gewaltigen London Bridge einher, und am rechten Ufer – der Stadtseite – gingen die Kais weiter, unterbrochen von feinen Kaufmannsvillen in Flusslage, während es am Südufer ländlicher wurde. Der spitze Turm von St. Paul überragte schließlich zu ihrer Rechten das Häusergewirr, dann passierten sie Bridewell – die neue königliche Residenz an der Fleetmündung – und die Anlagen der juristischen Bruderschaften im Temple. Nach einer Weile passierten sie Westminster mit der großen Klosterkirche und dem alten Palast, der kurz vor Nicks Geburt abgebrannt war, und der Baustelle von York Place, wo der mächtige Kardinal Wolsey, der seinen Vater hatte verhaften lassen, sich seinerseits einen neuen Palast errichten ließ, der anscheinend alles in den Schatten stellen sollte, was je in England erbaut worden war.
    »Bescheidene Hütte für einen Gottesmann, he«, brummte der Bootsführer, der wild entschlossen schien, Nick ein Gespräch aufzudrängen.
    Der junge Waringham blickte schweigend zu der gewaltigen Anlage hinüber, die, so hatte er gehört, eintausendfünfhundert Räume haben sollte, wenn sie einmal fertig wurde, und der Anblick führte ihm vor Augen, wie mächtig der Mann war, der offenbar

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