Der dunkle Thron
Lächeln, aber unverbindlich. Ihm war keineswegs entgangen, dass Josephine, die im Frühjahr verwitwet war, keine Einwände gehabt hätte, sich auch nächtens um Lord Waringhams Wohlbefinden zu kümmern. Aber er hatte sich geschworen, Janis treu zu sein. Da Treue indes eine ganz neue Erfahrung für ihn war, wusste er noch nicht, wie es um seine Standhaftigkeit bestellt war, und darum erfüllten Josephines Avancen ihn mit einem leisen Unbehagen.
Er wartete, bis sie hinausgegangen war, ehe er Jerome antwortete: »Nein, danke.«
»Das hab ich geahnt«, gab Jerome düster zurück. »Aber du solltest dir das noch mal überlegen, Nick. Alle gehen. Ich auch.«
Nick vollführte eine einladende Geste. »Ich wünsche euch viel Erfolg. Vermutlich werdet ihr den sogar haben, denn Norfolk ist ein hervorragender Soldat. Aber auf mich wird er verzichten müssen.«
»Nick«, warnte Madog. »Das dürfte deine letzte, wirklich deine allerletzte Chance sein, das Wohlwollen des Königs zurückzuerlangen. Der Duke of Suffolk meint es nur gut mit dir. Wenn du zu Hause bleibst, wird der König das als verdeckte Rebellion betrachten.«
»Und Norfolk wird dich einen Drückeberger nennen«, fügte Jerome eindringlich hinzu.
»Und außerdem …«, hob Madog wieder an.
»Gentlemen«, unterbrach Nick – scharf genug, dass die anderen augenblicklich verstummten. »Ich werde für diesen König in keinen Krieg ziehen, und mir ist gleich, wie die Welt darüber denkt. Früher hat Henry gern die großen Humanisten zitiert – bevor er Thomas More hinrichten ließ. Und Erasmus, der größte von allen, lehrt uns, dass nichts dem Gemeinwohl mehr schade als ein Krieg. Krieg sei die abscheulichste Negierung der menschlichen Vernunft, und es gebe nur eine einzige Rechtfertigung dafür, nämlich wenn das ganze Volk sich einig in dem Willen sei, einen Krieg zu führen. Aber in diesem Fall geht es nicht um den Willen oder das Wohl des Volkes, sondern es geht darum, dass Henry Tudor schlecht gelaunt und auf der Suche nach etwas ist, das ihn von seinem Verdruss und die Engländer von seiner Schwäche auf dem Thron und im Bett ablenkt. Dafür wird dieser Krieg geführt. Für seine Eitelkeit und zur Vertuschung seiner Unzulänglichkeiten. Aber ohne mich.«
Jerome Dudley sah ihn mit einem Ausdruck an, der an Entsetzen grenzte. »Nick … Jesus, Maria und Josef, alle hatten die ganze Zeit recht. Du bist ein Verräter.«
»Das ist er nicht«, widersprach Simon Neville streng. »Jedes Wort, das er sagt, ist die Wahrheit, Dudley, und die Wahrheit auszusprechen kann niemals Verrat sein.«
»Die Wahrheit?«, wiederholte Jerome wütend. »Es ist die Wahrheit , den König einen eitlen Versager und Schlappschwanz zu nennen?«
Der Priester lächelte mit der Überheblichkeit, die so manchen seiner Vorfahren in ein frühes Grab gebracht hatte. »Wenn Ihr darauf besteht, es so auszudrücken, fürchte ich, muss die Antwort …«
»Oh, halt die Klappe, Simon«, fiel Madog ihm scheinbar nachsichtig ins Wort, traktierte ihn aber gleichzeitig mit einem warnenden Blick. »Lasst uns nicht über sinnlose Wortklaubereien in Streit geraten.«
Jerome Dudley wandte sich nochmals an Nick: »Deine philosophischen Bedenken gegen den Krieg in allen Ehren, Waringham. Aber Erasmus hat in diesem Fall nicht mitzureden. Der König will zum Wohle seines Reiches die Normandie zurückerobern. Zu dem Zweck muss er zuvor die Schotten besiegen. Das ist sein Plan. Und das ist sein Wunsch. Du bist ein Kronvasall und hast ihm einen Eid geleistet. Also, was sagst du?«
Nick sah ihm in die Augen. »Viel Glück, Dudley.«
Der stieß angewidert die Luft aus. »Was soll dein armer Sohn nur von dir denken?«
»Nennst du mich einen Feigling?«, fragte Nick leise.
Jerome betrachtete ihn verständnislos, schüttelte dann den Kopf und stand auf. »Ich weiß, dass du kein Feigling bist. Möglicherweise bist du sogar der mutigste Mann, den ich kenne. Aber auf jeden Fall der hochmütigste. Und ich bleibe dabei: Die Ansichten, die du über den König äußerst, sind verräterisch. Aber weil du mein Freund bist, werde ich Suffolk lediglich deine Absage überbringen. Nur beklag dich nicht, wenn Männer, die dich weniger gut kennen als ich, dich tatsächlich einen Feigling nennen. Leb wohl.«
Nick blieb eine Stunde am Bett des sterbenden Müllers sitzen und betete mit Pastor Derkin und der Müllerin. Er blieb so lange, weil die junge Frau Beistand brauchte und es seine Pflicht war, ihn zu
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