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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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diktiert, Dudley«, argwöhnte sie.
    Jerome schüttelte inbrünstig den Kopf. »Der König lässt sich schon lange nichts mehr diktieren, Mylady. Dieser Brief entspringt seiner ureigensten Überzeugung.«
    »Ja, die Ketzer bei Hofe, die ihn großgezogen haben, können sich wahrhaftig beglückwünschen. Sie haben ihn gründlich verdorben.« Mary überflog die letzten Zeilen des eng beschriebenen Bogens mit dem königlichen Siegel und las murmelnd: »Darum fordern Wir Euch, geliebte Schwester, mit allem gebotenen Nachdruck auf, Eurem Unglauben abzuschwören und den rechten Weg zu Christus einzuschlagen. Es schmerzt Uns, darauf hinweisen zu müssen, aber die Erlaubnis, die Unser Kronrat Euch und Eurem Kaplan erteilt hat, die Messe zu halten und zu hören, sollte nicht für unbegrenzte Zeit gelten, sondern nur, bis Ihr Euren Irrtum erkannt habt und umkehrt. Da dies immer noch nicht geschehen ist, widerrufen Wir diese Erlaubnis mit sofortiger Wirkung und werden in Kürze den Bischof von London zu Euch schicken, damit er für Euch predige und Euch die Augen öffne …« Sie ließ den Bogen sinken. »Das fehlte noch. Edmund Bonner war mir nie der teuerste unter Englands Bischöfen, aber lieber empfinge ich ihn als diesen Satansjünger Ridley, den sie auf seinen Stuhl gesetzt haben …« Dann endlich fiel ihr Blick auf den Ankömmling, der unbemerkt in der Tür gestanden hatte. »Lord Waringham!« Sie lächelte erleichtert. »Ihr kommt gerade recht, mein Freund.«
    Nick trat über die Schwelle und verneigte sich förmlich vor ihr, wie er es immer tat, wenn sie nicht allein waren. »Vergebt mein unangemeldetes Eindringen, Madam. Es war niemand an der Tür.«
    »Was zweifellos daran liegt, dass Dudleys Bruder wieder einmal meinen halben Haushalt hat verhaften lassen«, erklärte sie mit einem vernichtenden Blick auf Jerome.
    Nick zwinkerte ihm zu. »Es hat den Anschein, du bist der unglückliche Bote mit der schlechten Kunde.«
    Jerome nickte säuerlich. »Und rechne jeden Augenblick damit, ins Verlies geworfen zu werden.«
    »Hier gibt es keins, Dudley«, spöttelte Mary. »Davon abgesehen, hat nicht einmal mein Vater das mit unliebsamen Boten getan. Er hat sie höchstens enteignet, aber das kann ich ja nicht.«
    »Zumal ich nichts besitze, was man mir nehmen könnte, Madam«, fügte Jerome hinzu, und sie lachten alle drei. Doch es war ein angespanntes Lachen. Sie wussten, dass dieser Brief des jungen Königs neuerliche Schwierigkeiten für Mary bedeutete.
    Seufzend wies sie zum Tisch hinüber: »Nehmt Platz, Gentlemen. So unangenehm der Anlass auch sei, besteht kein Grund, dass wir im Stehen streiten.«
    Newhall gehörte zu den Gütern, die König Henry ihr in seinem Testament hinterlassen hatte, und obwohl Mary hier einen Gutteil ihrer einsamen und ungewissen Verbannung verlebt hatte, liebte sie Newhall sehr und verbrachte die meiste Zeit dort, seit sie dem protestantischen Hof ihres Bruders vor einigen Jahren den Rücken gekehrt hatte. Nick musste einräumen, dass die kleine Halle zu den behaglichsten und geschmackvollsten zählte, die Mary besaß, aber er sah es nicht gern, dass sie sich in die Einöde zurückzog. Er fürchtete, die Engländer könnten sie eines Tages einfach vergessen.
    »Wie war die Reise, Mylord?«, wollte sie wissen. »Ihr seid so braun gebrannt wie ein andalusischer Fischer.«
    Während ein Diener Wein einschenkte, erzählte Nick ihr ein wenig von Rom, denn er wusste, dass sie eine große Sehnsucht nach der Heiligen Stadt verspürte. »Und auf dem Rückweg haben wir Chapuys in Annecy besucht, ob Ihr’s glaubt oder nicht.«
    Ihre braunen Augen leuchteten auf. »Wirklich? Wie geht es unserem lieben Freund?«
    »Hervorragend. Er ist grau und rund und behäbig geworden, aber sehr zufrieden. Er hat seine Schule gegründet, wie er es immer wollte, also haben wir stundenlang gefachsimpelt.« Vor vier Jahren hatte Chapuys seine Stellung als kaiserlicher Gesandter und Spion am Hof des Königs von England aufgeben müssen, weil er beinah sechzig Jahre alt und seine Gesundheit nicht mehr die beste war. Es war eine Zeit vieler Abschiede gewesen: Nur wenige Monate zuvor war Katherine Parr gestorben, Henrys letzte Königin und Marys mächtigste Verbündete am Hof des jungen Königs. Nick und Mary hatten ihren Verlust betrauert, aber Chapuys’ Rückkehr nach Annecy hatte eine echte Lücke in ihr Leben gerissen. »Hier.« Nick reichte ihr einen dicken, verschnürten und versiegelten Papierstapel. »Ein Brief von

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