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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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die hölzerne Pforte von innen aufgestoßen, und seine Stiefmutter trat ins Freie.
    Als sie ihn sah, blieb sie wie angenagelt stehen und stierte ihn mit verengten Augen an. »Was willst du hier?«
    »Hat der Constable Euch in die Garde der Yeoman Warders aufgenommen?«, konterte er.
    »Ich habe meinen Bruder besucht, du Teufel! Wie typisch, dass dir nichts Besseres einfällt, als zu spotten. Vermutlich weidest du dich an unserem Unglück, nicht wahr?«
    »Ihr irrt Euch, Madam«, gab er zurück und nahm den Weinschlauch aus der Satteltasche, damit er Sumpfhexe nicht länger ansehen musste. »Ich könnte mich daran weiden, wenn Ihr hier eingesperrt wäret, wie Ihr’s verdient hättet. Aber Euer Bruder hat genug gebüßt.« Und manchmal beschämte es ihn, dass er dank Katherine Parrs Fürsprache nur ein knappes Jahr nach dem Tag seiner geplatzten Hinrichtung aus der Haft entlassen worden, seine Bill of Attainder aufgehoben worden war, Norfolk hingegen seit über sechs Jahren hier ausharren musste.
    »Wie kannst du es wagen …«, hob sie an, aber Nick fiel ihr ins Wort.
    »Habt die Güte und lasst mich vorbei. Ich bin nicht in der Stimmung, mir Euer Gezeter anzuhören. Mir wird speiübel von Eurer moralischen Entrüstung, denn Ihr habt nichts unversucht gelassen, um mein Leben und das meiner Frau und meiner Kinder zu zerstören. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie oft ich gebetet habe, die Pest möge Euch holen.«
    Sumpfhexe öffnete den Mund, als wolle sie antworten, aber irgendetwas in seinem Blick bewog sie, es sich anders zu überlegen. Sie zögerte noch einen Herzschlag lang, dann wandte sie sich ab und hinkte langsam und mühevoll über das kurz geschnittene Gras zu ihrer eleganten Kutsche hinüber. Eine einsame, verhärmte und vom Rheumatismus gebeugte Frau, und doch konnte Nick nicht einen Hauch von Mitgefühl für sie aufbringen. Was sie in seinen Augen gesehen und was ihr die Sprache verschlagen hatte, war der bittere, unversöhnliche Hass, den er für sie empfand und der ihm immer zu schaffen machte, wenn er sich plötzlich damit konfrontiert sah. Er wusste genau, dass kein Christenmensch – ganz gleich, welcher Glaubensrichtung – so etwas empfinden sollte. Aber es gab einfach nichts, was er dagegen tun konnte.
    Er atmete tief durch und zwang sich mit einem bewussten Willensakt, Sumpfhexe und die abscheulichen Abgründe seiner Seele, die sie ihm vor Augen hielt, aus seinen Gedanken zu verbannen, denn auch ohne sie war der Gang zu ihrem Bruder schwierig genug.
    Oben vor der Tür zu dem komfortablen Quartier saß ein Yeoman Warder dösend im Halbdunkel. Nick trat den Hocker unter seinen Füßen weg, und um ein Haar wäre der Mann ins schmuddlige Bodenstroh gepurzelt.
    »Ein Schläfchen im Dienst?«, fragte Nick. »Lass dich nicht vom Constable erwischen, John.«
    Der junge Mann rappelte sich hoch und grinste verlegen. »Er würde ein Auge zudrücken, schätze ich. Eine schlafende Schnecke zu bewachen ist spannender, als den alten Knaben zu hüten, das wissen hier alle.« Er machte einen artigen Diener. »Schön, Euch zu sehen, Mylord.«
    »Gleichfalls, mein Junge.« John war in der Krippe aufgewachsen, war ein halb verhungerter Hänfling von acht oder neun gewesen, als sie ihn dort aufgenommen hatten, und heute ein Baum von einem Kerl. Nick hatte seine helle Freude daran, zu sehen, was aus ihm geworden war. Er nickte zur Tür. »Lässt du mich zu ihm?«
    »Natürlich, Mylord. Er wird staunen. Monatelang lässt sich kein Schwein hier blicken, und heute seid Ihr schon sein zweiter Besucher.«
    »Ja, ich bin seiner Schwester unten begegnet.«
    »Grässliche alte Krähe, wenn Ihr mich fragt«, brummte John.
    »Du ahnst ja nicht, wie recht du hast.«
    »Ihr kennt sie?«
    »Oh ja. Sie war meine böse Stiefmutter.«
    John nickte. »Es gibt Schlimmeres, was einem Jungen passieren kann, als im Waisenhaus zu landen.«
    »Master Gerards Zöglinge sind vermutlich anderer Ansicht«, entgegnete Nick. »Ich werde ihnen erzählen, was du gesagt hast.«
    John lachte, entriegelte die Tür und hielt sie Nick auf.
    Alsdann, dachte der, wappnete sich und trat über die Schwelle.
    Der Raum sah unverändert aus, geräumig und kahl, das Bett, in welchem Isabella gezeugt worden war, hatte immer noch die müden blauen Vorhänge. Norfolk hatte sich einen der Scherenstühle ans Fenster gerückt und sah auf den Tower Hill hinaus.
    Nick trat langsam zu ihm und blickte auf das hölzerne Podest mit dem Richtblock hinab, das auf der

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