Der dunkle Thron
war schwielig von viel harter Arbeit, aber ein Blick in das Gesicht verriet Nick, dass er es mit einem intelligenten und vornehmen Mann zu tun hatte.
»Vermutlich wird es das Beste sein, wir begleiten die Königin und Euch ans Ziel Eurer Reise«, schlug er vor.
Nick konnte im ersten Moment nicht antworten. Die Selbstverständlichkeit, mit der dieser Mann Mary »die Königin« nannte, machte ihn eigentümlich sprachlos, erschien ihm viel bedeutsamer als zuvor die trotzige Proklamation. Aber er sammelte sich schleunigst. »Das wäre eine große Erleichterung, Sir«, gestand er. »Wir sind Hals über Kopf aufgebrochen und, wie Ihr seht, schlecht aufgestellt.« Dann wandte er sich wieder an den jungen Dudley. »Und was nun, Robin?«
Der hob die Schultern. »Keine Ahnung, Mylord. Ich bin … ratlos. Ihr nehmt mich gefangen, schätze ich? Um das gleiche Druckmittel gegen meinen Vater zu haben wie er gegen Euch?«
In das kurze Schweigen hinein beschied Mary: »Nein.«
»Hoheit, die Güte Eures Herzens in allen Ehren …«, begann Pater Miguel.
»Gerade im Moment finde ich in meinem Herzen beklagenswert wenig Güte, Vater«, gab sie schroff zurück, und Robin Dudley, der bislang offenbar nicht geahnt hatte, dass sie ein typisches Tudor-Temperament besaß, zuckte fast unmerklich zusammen. Mary musterte ihn streng und sagte dann: »Wir haben keine Kapazitäten, um zwei Dutzend Gefangene zu bewachen, Vater, und dort, wo wir hingehen, auch keinen Platz für sie. Ihr seid frei, Dudley. Überlegt gut, was Ihr mit Eurer Freiheit anfangt. Ich verstehe, dass Ihr Eurem Vater Gehorsam schuldet. Glaubt mir, niemand könnte besser verstehen als ich, in welch einen Konflikt ein pflichterfüllter Sohn oder eine pflichterfüllte Tochter manchmal geraten kann. Aber unter Umständen kommt Ihr ja zu dem Schluss, dass er von unserer Begegnung nicht unbedingt erfahren muss. Denn er würde vermutlich nicht nur Euch, sondern auch Francis dafür büßen lassen, der Euch teuer ist, wie ich sehe. Immerhin wäre es ja möglich, dass Ihr mich in den weiten Wäldern und Sümpfen von Norfolk einfach nicht gefunden habt, nicht wahr?«
Robin erwiderte ihren Blick unschlüssig, sah dann weiter zu Nick und schließlich zu seinen Männern, die ausnahmslos im Dienst seines Vaters standen. Doch sein Sergeant zwinkerte ihm verschwörerisch zu. »An uns soll’s nicht scheitern, Sir Robin. Wir haben nichts gehört und gesehen.«
Robin Dudley nickte, aber seine Miene zeigte eher Schrecken als Erleichterung. Das konnte Nick gut verstehen, denn auch er hatte die Ergebenheit in dem Blick gesehen, mit welchem der Sergeant Mary zugenickt hatte. Diese Männer mochten Northumberlands Livree tragen, aber im Herzen trugen sie eine Tudor-Rose.
»Gott steh uns allen bei«, murmelte der junge Dudley und schwang sich in den Sattel. Vor Mary deutete er eine Verbeugung an. »Was immer die Leute von Norfolk denken, Ihr könnt nicht gewinnen, denn die Macht liegt im Süden, und der Süden ist protestantisch. Vor allem Kent«, fügte er mit einem frechen Grinsen in Nicks Richtung hinzu. »Es wäre viel besser für Euch und für England, Ihr ginget zu Eurem kaiserlichen Vetter ins Exil, solange Ihr noch könnt, Madam.«
»Habt Dank für Euren Rat, Dudley«, gab sie zurück. »Ich weiß, wie selbstlos Eure Absichten sind.«
Jane wer? , fragten auch die Londoner, als die sechzehnjährige Lady Jane Grey am zehnten Juli in einer prachtvollen Prozession von Booten und Barken zum Tower geleitet wurde, wo sie ihre Krönung erwarten sollte, wie es Tradition war. An den üblichen Plätzen in der Stadt und in Westminster wurde sie auf Anordnung des Kronrats zur Königin ausgerufen, und überall bildeten sich große Menschenansammlungen, um die Proklamationen zu hören, aber der Jubel fiel eher dünn aus. Die Menschen waren tief erschüttert über Edwards Tod, denn die Londoner hatten ihren jungen König geliebt, der ihnen so fromm und mit seiner kränklichen Blässe so unirdisch wie ein Engel erschienen war. Sie trauerten um ihn, und sie waren verwirrt.
»Wer soll diese Jane Grey denn sein, Doktor?«, fragte die Köchin der Krippe verständnislos.
»Sie ist eine Cousine des Königs«, erklärte John Harrison. »Ihre Großmutter war König Henrys Schwester.«
»Aber König Henry hatte außer unserem armen Edward doch zwei eigene Töchter. Wieso soll seine Großnichte vor denen drankommen? Das ist doch … wider die Natur. Was ist gegen Prinzessin Mary einzuwenden?«
»Sie
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