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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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dann. »Eigentlich habe ich nichts anderes von dir erwartet«, eröffnete sie ihm. »Aber ich vertraue darauf, dass du wenigstens einen Rest Anstand besitzt und sie nicht wieder ausgräbst und deinen Hunden vorwirfst.«
    Nick starrte sie betroffen an. »Was soll das heißen?« Er ahnte Fürchterliches.
    »Wir haben sie in Waringham beerdigt, an der Seite deines Vaters. An seiner anderen Seite, natürlich. Deine Frau war nicht besonders glücklich über unsere Bitte, aber sie kam nach reiflicher Überlegung zu dem Schluss, dass du den letzten Wunsch einer Verstorbenen niemals missachten würdest, die doch schließlich die Mutter deines Bruders gewesen sei.« Sie wandte sich ab. »Wie hast du es nur fertiggebracht, deine wahre Natur all die Jahre vor deiner Gemahlin zu verbergen, Nicholas?«

Wanstead, August 1553
    Ohne große Eile brach Mary Ende Juli Richtung London auf, nur begleitet von den Mitgliedern ihres Haushalts, den Lords, die sich in Framlingham um ihr Banner geschart hatten, und einer kleinen Ehrengarde. Wohin sie auf ihrer Reise nach Süden auch kamen – überall säumten die Menschen die Straße, jubelten ihrer neuen Königin zu, riefen ihren Namen und streuten Blumen vor ihr auf den Weg.
    Die anhaltende Hitze, der Staub und die Strapazen des Reisens schienen Mary nichts anhaben zu können. Auf jedem Dorfplatz hielt sie pflichtschuldig inne, empfing Segenswünsche, Petitionen und zerdrückte Feldblumensträuße aufgeregter kleiner Mädchen. Nick wusste, dass diese Art von Volksnähe ihrer Natur eigentlich fremd war, die vielen herandrängenden Menschen ihr nach all den Jahren der Abgeschiedenheit vielleicht gar ein wenig Furcht einflößten. Aber Mary ließ sich nichts davon anmerken. Sie segnete die Säuglinge, die die Bäuerinnen ihr entgegenstreckten, sie lauschte den Klagen der Dorfgeistlichen über die bitteren Folgen der Einfriedungen, und manchmal saß sie sogar ab, um einem sterbenden Greis oder einem kranken Kind die Hand aufzulegen, wie die Könige es von alters her getan hatten. Es war ihre Art, den Engländern für ihre unerschütterliche Treue zu danken, die ihr zu ihrem Recht verholfen hatte.
    Madog lehnte sich im Sattel zu Nick herüber und raunte: »Sie ist betrunkener vom Zuspruch ihrer Untertanen als sie es jemals von Wein war.«
    Nick lächelte nachsichtig. »Gönnen wir ihr das Bad in der jubelnden Menge von … wie immer dieses Nest heißen mag.«
    »Wanstead«, wusste Madog. »Und meinen Segen hat sie, sei versichert. Die Liebe der Engländer war zwanzig Jahre lang schließlich so ziemlich das einzige, was sie hatte.«
    »Nur zu wahr. Und darum ist es richtig, dass sie sich nun gegenseitig feiern, die neue Königin und ihre ergebenen Engländer.«
    Madog nickte, wandte aber ein: »Ich hoffe nur, sie werden sie nicht umso leidenschaftlicher hassen, wenn sie feststellen, dass auch Königin Mary Steuern erhebt und unpopuläre Gesetze durchsetzen muss wie jeder König.«
    Das machte Nick keine Sorgen. »Ich denke, sie wird ihre Sache gut machen, Madog. Weil sie die erste Frau auf dem Thron ist, wird sie sich schärfer im Auge behalten als jeder ihrer Vorgänger. Sie weiß, was sie will und was sie nicht will, aber sie ist offener für Ratschläge als ihr Vater oder ihr Bruder.«
    »Oder jeder andere Kerl?«, fragte sein Cousin grinsend.
    Nick dachte einen Moment darüber nach und nickte dann. »Vielleicht.«
    Er musste Esteban anhalten. Der Reiterzug war ins Stocken geraten, weil eine kleine Gruppe Menschen mitten auf der Straße vor der Königin kniete.
    »Das wird allmählich lächerlich«, brummte Madog. »Wenn das so weitergeht, sind wir Weihnachten noch nicht in London. Soll ich die Straße räumen lassen?«
    Nick schüttelte den Kopf und sah unverwandt zu den knienden Gestalten hinüber. »Ich glaube kaum, dass die Königin das sonderlich begrüßen würde.«
    »Wieso denn nicht?«
    »Mach die Augen auf, Madog. Es ist Elizabeth.« Und damit ritt Nick wieder an, schlängelte sich durch die Ritter der Ehrengarde und hielt neben Mary an.
    Vor ihr im Straßenstaub kniete ihre knapp zwanzigjährige Schwester, den Kopf gesenkt. Die Morgensonne ließ ihr üppiges gewelltes Haar wie einen frisch polierten Kupferkessel glänzen. Ihre Haltung war ehrerbietig, aber nicht unterwürfig, und wenngleich von ihrem Gesicht nicht viel zu sehen war, bot sie ein rührendes, unvergessliches Bild. Fünf ihrer Damen hatten Prinzessin Elizabeth nach Wanstead begleitet und knieten in einer Reihe hinter

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