Der dunkle Thron
Kronrat und ich‹ oder ›Unsere königliche Majestät‹ meinte. »Mit Wohlwollen«, fügte sie hinzu und schloss mit einer einladenden Geste: »Vorerst seid Ihr frei, zu gehen. Ich fürchte, wir brauchen Eure Quartiere hier im Tower für die wahren Verräter.«
Die Schaulustigen, die sich auch hier in großer Zahl eingefunden hatten, lachten und jubelten ihr zu. Und Nick beglückwünschte sie zu ihrer Klugheit und ihrem politischen Kalkül. Mary hatte Großmut bewiesen, ohne die Rechtsprechung ihres Vaters und Bruders in Frage zu stellen. Statt Tränen des Mitleids für die armen Unschuldigen zu vergießen, hatte Mary ihre königliche Autorität demonstriert. Gerechtigkeit hatte sie versprochen, nicht eine impulsive Amnestie, die morgen ebenso willkürlich widerrufen werden könnte – so wie viele es von einer Frau vermutlich erwartet hätten, da Frauen nun einmal, das wusste schließlich jeder, flatterhaft und unvernünftig waren.
So kam Mary Tudor als zweite Königin innerhalb von nicht einmal vier Wochen in den Tower of London, um hier ihre Krönung zu erwarten. Ihre unglückselige – und ungekrönte – Vorgängerin Jane Grey war ebenfalls immer noch innerhalb dieser Mauern, allerdings in sicherer Verwahrung. Auf Marys Anweisung hatte man Jane indes in einem komfortablen Quartier untergebracht, erwies ihr alle Ehren, die einer Großnichte König Henrys VIII. zustanden, und ersparte ihr jeden Kontakt mit ihrem Vater, ihrem ungeliebten Gemahl oder dessen Familie, den Dudley, die ebenfalls im Tower eingesperrt waren und ihren Prozess erwarteten.
»Und was sollen wir mit ihnen tun, Gentlemen?«, fragte die Königin ihren Kronrat. Kerzengerade saß sie am Kopf des langen Tisches in der Halle des White Tower. Sie trug ein Kleid aus bronzefarbenem Seidenbrokat, das elegant und doch gedeckt wirkte, um den Hals eine kurze, doppelreihige Perlenkette mit einem Kruzifixanhänger aus Gold und Granat. Mary brauchte keinen Thronsessel und keinen Baldachin mit dem königlichen Wappen, um Souveränität auszustrahlen. Nick betrachtete sie verstohlen von seinem Platz an der rechten Seite der Tafel, und es war Zufriedenheit, die er empfand. Und Stolz . Ich habe getan, was ich dir damals versprochen habe, Catalina. Und nun schau dir an, was aus dem Kind geworden ist, das du mir vor beinah fünfundzwanzig Jahren anvertraut hast: eine wahre Königin …
»Lord Waringham?«
Er kehrte mit einem Ruck in die Gegenwart zurück. »Vergebt mir, Arundel. Ich war einen Moment in gar zu nostalgische Gedanken versunken.« Er räusperte sich ironisch.
Die Lords lächelten nachsichtig. Die Atmosphäre im Kronrat war gelöst, unterschwellig sogar euphorisch. Jeder der hier am Tisch Versammelten war davon überzeugt, dass alles so gekommen war, wie es sein sollte. Und sie waren erleichtert, nachdem sie festgestellt hatten, welch eine außergewöhnlich kluge Vertreterin ihres Geschlechts die erste regierende Königin Englands zu sein versprach.
»Ich sagte, die Königin tut recht daran, Milde zu zeigen«, wiederholte Arundel.
Bischof Gardiner, den Mary sofort nach seiner Haftentlassung in ihren Kronrat berufen hatte, stimmte zu: »Es ist nicht nur eine schöne Geste zur Krönung, es ist vor allem politisch klug. Je weniger Märtyrer wir den Reformern schenken, desto besser.«
Mary runzelte unwillig die Stirn, nickte aber schließlich. »Das ist vermutlich richtig.«
»Doch unsere Milde darf nicht maßlos sein, Majestät«, setzte Arundel wieder an. »Northumberland muss sterben.«
»Ja, ich weiß«, stimmte Mary zu, ohne auch nur einen Lidschlag lang zu zögern. »Sein Verrat wiegt zu schwer, um ihm zu vergeben. Wir würden als schwach und untätig verlacht, wenn wir ihn schonten, und das können wir uns nicht leisten, Gentlemen, mit einer Frau auf dem Thron erst recht nicht.«
»Und was wird mit Jane Grey, Hoheit?«, fragte Nick, da offenbar niemand sonst sich traute.
»Sie wird verurteilt, genau wie ihr Gemahl, aber ich gedenke, sie zu begnadigen. Meine Cousine Jane, ihren Gemahl Guildford Dudley und all seine Brüder. Ja, Lord Waringham, auch Robin Dudley, seid unbesorgt«, fügte sie mit einem kleinen Lächeln hinzu.
Nick war erleichtert, und er wusste, sein Freund Jerome würde ein Freudenfest feiern, wenn er erfuhr, dass seine Neffen geschont werden sollten.
»Nun lasst uns zu wichtigeren Dingen kommen, Mylords«, sagte die Königin brüsk. »Ich wünsche, dass spätestens bis Weihnachten alle Engländer wieder die
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