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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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klang desinteressiert.
    »Kann sein. Ich hab den Jungen gern, wenn du die Wahrheit wissen willst. Ich werde für ihn tun, was ich kann, aber ich weiß nicht, wie viel das sein wird.«
    Louise nickte, antwortete aber nicht. Er hatte den Eindruck, als ringe sie mit sich, und dann schien sie sich einen Ruck zu geben. »Ich habe dich ausfindig gemacht, um dir mitzuteilen, dass meine Mutter gestorben ist, Nicholas.«
    Das traf ihn gänzlich unvorbereitet. Blinzelnd verengte Nick die Augen, während Erinnerungen auf ihn einstürzten – die meisten davon abscheulich. Sumpfhexes wutverzerrte, purpurrote Fratze mit der weißen Nase. Sumpfhexes Gezeter, ihre Gehässigkeiten, ihre Schläge. Aber in dem Bilderreigen, der ungebeten vor seinem geistigen Auge entlangzog, erhaschte er auch den einen oder anderen Blick auf seinen Vater. Auf Laura. Und auf Raymond.
    Er fuhr sich mit der Hand über Kinn und Hals. »Was ist passiert?«
    »Als … als Jane Grey in London zur Königin ausgerufen wurde, war sie zutiefst verbittert. Sie war vollkommen außer sich, um die Wahrheit zu sagen. Jetzt sei alle Hoffnung verloren, dass ihrem armen Bruder Norfolk je Gerechtigkeit widerfahre, schrie sie. Er werde in Schande und vergessen im Tower seine Tage beschließen müssen und dort in Einsamkeit sterben. Die Welt sei wahnsinnig geworden, Jane Grey sei eine … eine Ketzerhure und Cranmer ein Teufelsbischof und …« Louise unterbrach sich und wartete, bis sie sich wieder gefasst hatte. »Sie hat getobt«, berichtete sie fast tonlos, die Augen selbst bei der Erinnerung vor Schrecken geweitet. »Du kannst dir nicht vorstellen, welche Dinge sie über Jane Grey gesagt hat. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass meine Mutter … meine vornehme Mutter solche Ausdrücke kannte. Sie kam mir vor, als sei sie gar nicht mehr sie selbst. Völlig von Sinnen. Sie … hat mir Angst gemacht.«
    Ja, dachte Nick, das kenne ich. »Und dann?«
    »Jerome hat es schließlich irgendwie fertiggebracht, sie zu beruhigen. Wir haben sie überredet, sich hinzulegen. Und als ich eine Weile später nach ihr schauen ging, lag sie wie erstarrt im Bett, gelähmt, der linke Mundwinkel hing ganz seltsam herab. Ich habe einen Arzt geholt. Der Schlag habe sie getroffen, hat er gesagt. Es bestünde Hoffnung, wenn es Gottes Wille sei und ihr eigener. Aber sie erholte sich nicht. Eine ganze Woche lag sie da, lebendig begraben in ihrem eigenen Körper.« Louise wischte sich mit dem Handrücken über die linke Wange. »Sie starb am achtzehnten.«
    Nick atmete tief durch, wandte sich wieder zum Altar um und senkte den Kopf, damit seine Stiefschwester sein Lächeln nicht sehen musste. Am achtzehnten. Einen Tag zu früh, um zu erfahren, dass Jane Grey und die Ketzer gestürzt waren, dass Mary Tudor zu ihrem Recht gekommen war, die den uralten und obendrein papsttreuen Norfolk natürlich freilassen und rehabilitieren würde.
    »Ich kann dir kein Beileid aussprechen, Louise«, bekannte er leise.
    »Ich weiß. Du meinst, es war gerecht.« Es klang bitter.
    Nick wandte den Kopf und sah sie wieder an. Dann nickte er.
    »Sie hat mir erzählt, du hättest ihr die Pest an den Hals gewünscht«, sagte sie.
    »Das habe ich«, räumte er ein, und er brachte keine Rechtfertigung vor. Er fand nicht, dass er seiner Stiefschwester irgendetwas schuldete.
    Louise schüttelte langsam den Kopf. »Denk, was du willst. Aber das hatte sie nicht verdient.«
    »Nun, sie ist ja nicht an der Pest gestorben, nicht wahr«, gab er zurück. »Sondern an ihrem eigenen Jähzorn. Womöglich hatte sie das verdient.«
    »Verflucht sollst du sein …«, fuhr Louise auf.
    »Ja, verfluche mich auf geweihtem Boden, wenn du denkst, dass das klug ist«, fiel Nick ihr schneidend ins Wort und machte einen Schritt auf sie zu. »Aber sie war schuld an dem Weg, den Raymond eingeschlagen hat, und in der Nacht, bevor er sich aufgehängt hat, habe ich in seine Augen gesehen, und sie waren wie … wie Brunnen, randvoll von Verzweiflung. Und am Abend, bevor ich hingerichtet werden sollte, kam mein Sohn zu mir und sah mich an, und es war genau das Gleiche. Meinen Bruder und meinen Sohn musste ich im Vorhof der Hölle sehen und konnte nichts dagegen tun, und sie hat sie dorthin gebracht. Also rechne lieber nicht damit, dass ich Messen für die Seele deiner Mutter lesen lasse – selbst wenn es demnächst wieder erlaubt sein wird.«
    Louise verschränkte die Arme, sah ihrem Stiefbruder noch einen Moment ins Gesicht und nickte

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