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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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sicherste Methode, keinen Streit anzufangen.
    »Ich erwarte, dass du dir mit Raymonds Unterricht mehr Mühe gibst«, sagte Yolanda.
    »Er gibt sich doch Mühe. Aber ich kann nicht lernen«, bekannte Ray und sah seine Mutter mit großen, tränenfeuchten Augen an.
    Ihre Miene wurde milder, doch sie antwortete: »Dann musst auch du dir mehr Mühe geben. Andere Jungen in deinem Alter können längst ihre Fibel lesen. Du willst doch nicht als Dummkopf durch die Welt stolpern, oder?«
    »Nein«, beteuerte er. »Aber ich hab solche Angst vor den Büchern, Mutter.« Ohne Vorwarnung begann er bitterlich zu weinen.
    »Angst vor Büchern?«, fragte Nick entgeistert. »Aber wieso? Schsch, ist ja gut, Ray. Hör auf zu flennen. Komm schon, nimm dich zusammen und erkläre uns, wovor du Angst hast.«
    »Vor den Büchern«, wiederholte sein Bruder störrisch, ignorierte das Taschentuch, das seine Mutter ihm reichte, und fuhr sich mit dem Ärmel übers Gesicht. »Sie sind gefährlich, das hast du selbst gesagt, Mutter!«
    »Was?«, fragte Yolanda verdattert.
    »Du hast zu ihm gesagt, seine verdammten Ketzerbücher würden ihn eines Tages umbringen, ich hab’s genau gehört. Und jetzt ist er tot, aber die Bücher sind immer noch da in seiner Studierstube, und sie stehen da und lauern, und ihr werft sie nicht ins Feuer. Ich versteh nicht, warum nicht. Und sie machen mir Angst.«
    Louise stand von ihrem Platz auf, trat zu ihrem kleinen Bruder und legte ihm von hinten die Hände auf die Schultern. »Nein, Ray, du brauchst keine Angst vor ihnen zu haben«, versicherte sie. »Du hast das falsch verstanden.« Geduldig und in kindgerechten Worten erklärte sie ihm, wie die Bemerkung ihrer Mutter gemeint gewesen war, und Nick saß mit gesenktem Kopf dabei und lauschte und war wie üblich fassungslos darüber, wie liebevoll seine Stiefschwester sein, wie angenehm ihre Stimme klingen konnte. »Und außerdem haben Nick und dein Vater die gefährlichen Bücher alle aus der Studierstube fortgeräumt«, schloss sie. »Dort ist nichts mehr, das dir Angst einjagen müsste, glaub mir.«
    Ray verdrehte den Kopf und sah zu ihr hoch. »Ehrenwort?«
    »Großes Schwesternehrenwort«, gelobte sie und hob feierlich die Hand zum Schwur, ehe sie sie ihm entgegenstreckte. »Komm. Ich bringe dich zu Bett.«
    Bereitwilliger als gewöhnlich stand er auf und ging mit Louise hinaus.
    Ehe Nick aufspringen und der trauten Zweisamkeit mit Sumpfhexe entfliehen konnte, sagte diese: »Vater Ranulf hat mich heute aufgesucht.«
    Nick stützte rüpelhaft die Ellbogen auf den Tisch und nahm seinen Becher in beide Hände. »Tatsächlich?«
    »Du wirst dich bei ihm entschuldigen, Nicholas.«
    »Das werde ich ganz sicher nicht tun, Madam. Und wenn er sich nicht besinnt, werde ich meine Drohung wahr machen.«
    »Du machst dich lächerlich und mich gleich mit!«, fuhr sie ihn an. »Er ist ein Mann der Kirche und darum unantastbar. Denkst du, wenn man irgendetwas gegen ihn hätte tun können, dein Vater hätte auch nur einen Moment gezögert?«
    Er hob den Kopf und sah sie an. »Ich bin ehrlich nicht sicher. Manchmal habe ich das Gefühl, mein Vater hatte in vielen Dingen resigniert und hat sich darum lieber in der Bibliothek eingeschlossen, statt ihnen ins Auge zu sehen.«
    »Wie kannst du es wagen …«
    »Könnt Ihr nicht ein einziges Mal darauf verzichten, mich anzukeifen?«, unterbrach er sie. »Wann wollt Ihr endlich anerkennen, dass die Dinge sich geändert haben, und aufhören, mich wie einen unliebsamen armen Verwandten zu behandeln? Vater wollte, dass ich Frieden mit Euch und Eurer Tochter halte, und um seinet- wie um Rays willen bin ich bereit, das Meine dazu zu tun. Aber Ihr könntet mir hin und wieder einen kleinen Schritt entgegenkommen, denkt Ihr nicht?«
    »Ich sehe keine Veranlassung, dich nicht zurechtzuweisen, wenn du dich ungehörig benimmst. So wie jetzt. So wie immer .«
    Gott, es ist vollkommen zwecklos, erkannte er. Er stand auf, nahm eine Kerze vom Geschirrschrank an der Wand und zündete sie an einer von denen auf dem Tisch an. »Gute Nacht«, knurrte er, nahm sein Weinglas in die freie Hand und ging zur Tür.
    »Nicholas! Wir sind noch nicht fertig.«
    »Ich schon.« Er verließ die Halle und überquerte den Korridor in der Absicht, sich in der Bibliothek einzuschließen. Aber zu seinem Schrecken kam Brechnuss ihm entgegen und schnitt ihm den Fluchtweg ab.
    »Hast du es wieder geschafft, sie zu kränken?«, zischte sie. »Du kämst im Traum nicht darauf,

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