Der dunkle Thron
zahllosen anderen Residenzen blieb, bis die Arbeiten hier weiter gediehen waren, doch er bekam die Antwort, als sein Begleiter ihn ins Innere des Palastes führte. Hier sah es schon recht wohnlich aus. Falls das denn der geeignete Ausdruck war. Die hohen Decken, Marmorböden und halb fertigen Wand- und Deckengemälde gaben einem eher das Gefühl, in einer Kathedrale als einem für Menschen bestimmten Gebäude zu stehen. Staunend blickte Nick um sich und legte dann einen Schritt zu, um seinen Begleiter nicht zu verlieren.
»Steht Ihr schon lange im Dienst der Königin, Sir Albert?«, fragte er den jungen Mann, der ihn mit eiligen Schritten eine breite Treppe hinaufführte.
»Drei, vier Jahre.«
»Ich hätte angenommen, dass sie sich eher mit spanischen Caballeros umgibt als mit …« Er wusste nicht so recht weiter.
»Bettelrittern aus den Grenzmarken?«, schlug Devereux vor.
Nick blieb stehen und sah ihn kopfschüttelnd an. »Das war es nicht, was ich meinte.« Er streckte die Hand aus. »Wir sind Vettern, richtig?«
Der junge Ritter schlug ein und nickte. »Meine Großmutter war die Schwester Eures Großvaters.« Aber er gab seine distanzierte Höflichkeit nicht auf. »Ihre Majestät hat nur noch einige Damen aus der alten Heimat in ihrem Haushalt. Ich denke, Ihr unterschätzt vielleicht, wie verbunden die Königin sich England fühlt, Mylord. Sie lebt seit fast dreißig Jahren hier. Sie liebt England. Genau wie umgekehrt.«
»Ja, ich weiß. Und es war nicht meine Absicht, ihre Verbundenheit zu England in Frage zu stellen«, gab Nick ein wenig steif zurück und dachte: Hier muss man wahrhaftig jedes Wort auf die Goldwaage legen. Vermutlich ist eine lose Zunge nirgendwo ein gefährlicheres Laster als hier.
Doch Devereux schien seine Versicherung zufriedenzustellen. Er führte Nick einen von Fackeln erhellten Korridor entlang, der in einer kleinen Halle mündete. Dort wies er auf eine Tür zur Linken. »Da liegen die Gemächer der Königin.« Fast verstohlen ruckte er das Kinn zur gegenüberliegenden Tür. »Dort die Seiner Majestät, dahinter die seiner … jungen Dame. Also merkt Euch: Ihr müsst Euch nach rechts halten, wenn Ihr zurück in diese Halle kommt. Die vielen Flure und Türen können einen leicht verwirren, und wenn man die falsche öffnet, kann man in heikle Situationen geraten.«
Nick sah ihn ungläubig an. »Verratet mir eins, Sir Albert. Wenn es stimmt, dass dieser Palast eintausendfünfhundert Gemächer hat, warum wohnen der König, seine ›junge Dame‹ und die Königin dann Tür an Tür? Macht das nicht alles nur noch vertrackter?« Er hatte die Stimme fast zu einem Flüstern gesenkt.
Devereux sah trotzdem über die Schulter, ehe er ebenso gedämpft erwiderte: »Erlaubt mir einen Rat, Mylord of Waringham. Wundert Euch niemals über die Dinge, die der König tut. Denn das hat er überhaupt nicht gern.«
Nick schnaubte – wenn auch leise. Da er beabsichtigte, auf sicherer Distanz zu König Henry zu bleiben, konnte er sich nach Herzenslust und gefahrlos wundern. Trotzdem versprach er: »Ich werd dran denken.«
Die Königin von England saß auf einem zu großen, unbequem wirkenden Stuhl ohne Armlehnen und hatte den Kopf über eine Näharbeit gebeugt.
»Lord Waringham, Majestät«, sagte die junge – ebenfalls englische – Hofdame, bei der Devereux Nick abgeliefert hatte, und beim Klang ihrer Stimme sah Catalina auf.
Nicks erster Eindruck war der von großen, dunklen Augen in einem rundlichen, bleichen Gesicht. Sein zweiter Gedanke war die Erkenntnis, dass nicht der Stuhl zu groß, sondern die Königin winzig klein war. Und fast so breit wie hoch. Dann endlich gab er sich einen Ruck, trat drei Schritte in den Raum hinein und sank auf ein Knie nieder. »Nicholas of Waringham, Majestät. Zu Euren Diensten.« Er konnte nur hoffen, dass es dieses Mal die richtige Anrede war, denn er hatte nach wie vor nicht die leiseste Ahnung von Hofetikette.
Catalina lächelte, und Nick war verblüfft, wie schön dieses Lächeln ihr feistes, nicht mehr junges Gesicht machte. »Mein lieber Waringham. Es ist mir eine solche Freude, Euch endlich kennenzulernen. Erhebt Euch.« Ihre Stimme war gleich die nächste Überraschung: erstaunlich volltönend und tief für eine so winzige Person, und ihr ausgeprägter spanischer Akzent verlieh ihrer Sprache einen exotischen Charme.
Nick kam auf die Füße und sah sich ebenso verstohlen wie unsicher um. Nervös rieb er die Hände an den Hosennähten. Als er es
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