Der dunkle Thron
eine Schale zu. »Hier. Viel Glück.«
Nick verstand den seltsamen Tischsegen, als er die Suppe probierte. Er musste all seine Manieren aufbieten, um den ersten Löffel nicht zurück in die Schale zu spucken. »Ihr müsst betuchter sein, als ihr zugebt, wenn eure Köchin so verschwenderisch mit dem Salz umgeht«, bemerkte er und unterdrückte ein Husten. Es gab nichts zu trinken, um das Brennen zu löschen.
Laura nickte auf die Tür zu, wo die junge Magd eben verschwunden war. »Helen. Sie ist alles, was wir an Dienstboten haben. Ich habe sie von der Straße aufgelesen, das arme Kind, und sie arbeitet für Kost und Logis. Aber sie kann nichts . Ich würde ja selbst kochen, aber mir ist immer so übel. Im Moment geht es einfach nicht.« Sie strich über ihren runden Bauch. »Na ja. Dauert nicht mehr lange, schätze ich.« Sie rang sich ein Lächeln ab, das aber gleich wieder verschwand. Impulsiv ergriff sie Nicks Hand. »Ich hoffe, du wirst uns nicht den Rücken kehren, Bruder.«
Nick schüttelte langsam den Kopf. »Vor einem Jahr hätte mich sehr befremdet, was du sagst«, gestand er. »Aber ich habe den Winter damit verbracht, Vaters Bücher zu lesen. Und seine Schriften. Ich bin …« Er wusste nicht weiter.
»Verwirrt?«, fragte Laura.
Er nickte. »Gelinde gesagt.«
Zu Anfang hatten die vielen verbotenen Gedanken ihn halb zu Tode erschreckt, aber er hatte auch nicht aufhören können, sie zu verfolgen. Und daran waren nur Sir Thomas More und seine Schule schuld, denn sie hatten seinen Geist dazu erzogen, sich zu regen. Sich auf die Zehenspitzen zu stellen und nach der Decke zu strecken, sozusagen, und sich kniffligen Problemen zu stellen wie ein Ringkämpfer. Also hatte er weitergelesen und unerhörte Dinge über die Kirche, über den Papst, seine Kardinäle und Bischöfe erfahren, die er vermutlich nie hätte glauben können, hätte er sie nicht in der Handschrift seines Vaters gelesen. Es war zu einfach, zu sagen, die Kirche habe recht, die Reformer unrecht. Und selbst der große Erasmus, den Sir Thomas More so verehrte, hatte geschrieben, die Bibel müsse übersetzt werden, auf dass auch einfache Menschen und sogar Frauen sie lesen könnten, um das Wort Gottes unmittelbar zu erfahren. Doch die Kirche verteidigte ihr alleiniges Recht auf die Auslegung der Bibel mit geradezu hysterischem Eifer. Weil dieses Deutungsmonopol das Fundament ihrer Macht war? Weil sie fürchtete, was geschehen mochte, wenn die bislang so fügsame Schafherde der Gläubigen erfuhr, dass Jesus Christus nie etwas von Ablasshandel und fetten Pfründen gesagt hatte?
»Ja, ich bin ziemlich durcheinander«, räumte Nick ein. »Obwohl Reformer wie Simon Fish mir bei Weitem zu radikal sind, und ihre Großmäuligkeit ist mir suspekt. Und unsympathisch.«
»So ging es mir auch«, eröffnete Laura ihm. »Aber es ist kein Wunder, dass ihre Wut maßlos ist. Vor zwei Wochen haben sie in Norwich einen Ketzer verbrannt, und der Bischof dort hat verkünden lassen, jeder, der ein Reisigbündel mit zur Hinrichtung bringe, bekomme einen Ablass für die nächsten vierzig Tage.«
»Was?«, fuhr Nick entrüstet auf.
Philipp nickte, seine Miene grimmig. »Einen Freibrief, könnte man sagen. ›Betrüge deine Frau, lass deine Kinder hungern, erschlage deinen Nachbarn – es wird alles vergeben, wenn du Gottes Werk tust und uns hilfst, den Ketzer zu verbrennen.‹«
Nick schüttelte fassungslos den Kopf, und eine Weile schauten sie alle drei trübsinnig auf die Schalen mit der ungenießbaren Suppe hinab. Schließlich raffte Laura sich auf. »Kann einer von euch Feuer machen? Offenbar können wir es uns jetzt ja leisten. Ich gehe hinunter und seh zu, ob die Suppe noch irgendwie zu retten ist.«
Während sie sich schwerfällig erhob und zur Tür ging, trat Nick an den Kamin und schichtete Holz auf. »Was hört ihr sonst an Neuigkeiten?«
Philipp hob desinteressiert die Schultern. »Der König kann an nichts anderes mehr denken als seine Scheidung. Sein Gewissen lasse ihm keine Ruhe, lässt er verbreiten, weil er und die Königin in Sünde leben. Sie setzt ihm zu, weil er sie loswerden will, und seine kleine Hure setzt ihm zu, weil es ihr nicht schnell genug geht.«
»Armer Henry«, warf Nick boshaft ein. »Gefangen zwischen zwei keifenden Weibern. So hat er sich das bestimmt nicht vorgestellt …«
Sein Schwager grinste. »Vermutlich nicht. Viele glauben übrigens, dass es besagte Hure und ihr Onkel Norfolk waren, die Wolseys Fall herbeigeführt
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