Der dunkle Thron
war der zweite Grund, warum ich nach Euch geschickt habe. Was geschah mit Eurem Vater? Niemand hier sagt mir die Wahrheit.«
Dann werde ich es todsicher auch nicht tun, ganz gleich, was du über die angebliche Wahrheitsliebe der Waringham zu wissen glaubst, dachte Nick grimmig. Er hielt den Blick auf seine Knie gerichtet, während er antwortete: »Wolsey ließ ihn wegen des Verdachts verhaften, ketzerische Schriften verfasst und veröffentlicht zu haben. Sie sperrten ihn in den Tower und taten, was sie eben tun, wenn sie einen Widerruf wollen. Er bekam Fieber und starb.«
»Sie haben ihn gefoltert?«, fragte die Königin tonlos. »Jasper of Waringham?«
Er hob den Blick. Ihre Augen waren geschlossen, das Gesicht voller Schmerz. Er sah, wie durchschimmernd ihre Lider waren, fast weiß und von dichten Wimpern umkränzt. Sie hatten etwas Kindliches, diese Wimpern, und die Unschuld, die ihr das verlieh, machte Nick so wütend, dass er sich nicht beherrschen konnte. »Ja, Majestät. Weil niemand auch nur einen Finger gerührt hat, um es zu verhindern, weder Ihr noch der König. Wollt Ihr Einzelheiten hören? Von glühenden Schürhaken und ausgeschlagenen Zähnen? Wollt Ihr wissen, was die Streckbank …«
»Seid still, Sir, um Himmels willen!«, fiel Lady Jane Seymour ihm ins Wort, und mit einem Mal lag ihre Hand auf seiner Schulter. »Ihre Majestät hat nichts von der Verhaftung Eures Vaters gewusst. Kennt Ihr denn keine Scham, so mit Eurer Königin zu reden und sie mit ungerechtfertigten Vorwürfen zu überhäufen? Wer seid Ihr? Lord Waringham oder ein selbstsüchtiger Bengel, der nicht begreift, dass andere Menschen unter den Ereignissen ebenso leiden müssen wie er? Vielleicht schlimmer?«
»Nein, Jane, bitte«, wehrte die Königin ab. »Lasst es gut sein. Er hat ja recht …«
»Nein, sie hat recht«, fiel Nick ihr rüde ins Wort. Er stand abrupt auf, stützte die Hände aufs Kaminsims und starrte ins Feuer. Mit einem Mal drohten Zorn und Trauer ihn niederzuknüppeln. Er wusste kaum, wie er sich hindern sollte, sich heulend auf die edlen Marmorfliesen zu werfen und zu einem möglichst kleinen Ball zusammenzurollen. »Es tut mir leid.« Seine eigene Stimme klang ihm fremd in den Ohren, rau und tief.
Es war eine Weile still. Schließlich sagte Catalina: »Nehmt wieder Platz, Mylord. Und vergebt mir, dass ich so scheinbar gedankenlos an Euren Schmerz gerührt habe. Aber ich muss die Wahrheit wissen. Dreht Euch um und seht mich an.« Plötzlich konnte man hören, dass dies die Tochter der Frau war, die die Mauren aus Spanien gejagt hatte.
Nick gehorchte.
»Ihr habt Euren Vater im Tower gesehen?«
Er nickte.
»Dann bin ich überzeugt, Ihr wisst, worum es in Wirklichkeit ging. Dieser Ketzereivorwurf ist fadenscheinig, das weiß ich. Damit hätte Wolsey einen Mann wie Euren Vater niemals zu Fall bringen können. Also? Was wollte er?«
Nick schwieg. Bitte, Gott, mach, dass sie mich nicht zwingt , betete er. Warum soll ich ihr das aufbürden? Was könnte es nützen, wenn sie es weiß?
Aber Gott hörte nicht zu. »Hatte es womöglich irgendetwas mit der Freundschaft Eures Vater zu meinem ersten Gemahl zu tun?«, bohrte Catalina beharrlich weiter.
Nick schlug den Blick nieder und wusste im selben Moment, dass er sich damit verraten hatte.
»Sprecht, Waringham.«
»Ich kann nicht«, sagte Nick zu den schwarz-weißen Marmorfliesen.
»Warum nicht? Ist es ein Gelübde?«
Er schüttelte den Kopf und sah sie immer noch nicht an. »Es würde alles nur schlimmer machen, wenn Ihr es wüsstet.«
»Diese Entscheidung wollt Ihr gütigst mir überlassen.«
Er atmete tief durch. »Aber es betrifft Dinge, über die zu sprechen nicht schicklich ist.« Wie in aller Welt sollte er vor der Königin, vor dieser vollendeten Dame, die in ganz England für ihre Vornehmheit und Frömmigkeit verehrt wurde, die Frage ihrer Jungfräulichkeit bei ihrer zweiten Eheschließung ausbreiten? Schon allein bei der Vorstellung glaubte er, er müsse vor Scham eingehen.
»Lady Jane, seid so gut, holt Papier und Feder. Nehmt dort am Tisch unter dem Fenster Platz, Lord Waringham, und schreibt auf, was Ihr mir nicht sagen könnt.«
Er saß in der Falle. Also fügte er sich in das Unvermeidliche. »Aber Ihr müsst es ins Feuer werfen, sobald Ihr es gelesen habt«, forderte er.
»Einverstanden.«
Er nahm eine der Kerzen von dem niedrigen Tisch am Kamin mit zum Fenster, setzte sich und tauchte die Feder ins Tintenhorn. Catalina hatte recht,
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