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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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merkte, hörte er augenblicklich wieder damit auf.
    Sicher entging Catalina sein Unbehagen nicht, aber sie tat wenigstens so, was es ein bisschen leichter für ihn machte.
    »Nehmt Platz, Mylord.« Sie wies auf den Sessel ihr gegenüber.
    Nick fand es irgendwie ungehörig, dass er bequemer sitzen sollte als sie, aber vermutlich hatte sie den Stuhl gewählt, damit ihr bei der Handarbeit keine Armlehnen in die Quere kamen. Und sicher wäre es noch ungehöriger gewesen, ihr zu widersprechen. Also hockte er sich auf die Kante des mit goldbesticktem Damast bezogenen Sessels.
    Die Hofdame brachte Wein in einem vergoldeten Krug, dazu zwei herrliche Glaspokale. Sie schenkte ein, stellte die Gläser auf den dunklen Holztisch zwischen der Königin und ihrem Gast, knickste vor Catalina und zog sich diskret in einen dämmrigen Winkel des ohnehin schwach erhellten Raums zurück.
    Catalina machte noch zwei oder drei winzige Stiche, dann hielt sie ihr Machwerk an den Schultern hoch und betrachtete es kritisch. »Ich nähe dem König immer noch seine Hemden, wisst Ihr«, erzählte sie Nick. »Er wünscht es so, und ich tue es gern. Aber sie ist fuchsteufelswild deswegen, berichtete man mir.«
    Nick blieb fast das Herz stehen. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, weswegen die Königin ihn zu sich bestellt hatte, aber dass sie ihm in scheinbar unbeschwertem Plauderton die Gemütslage ihrer Konkurrentin darlegte, machte ihn hoffnungslos verlegen. Was in aller Welt konnte er darauf erwidern? Nichts, aber auch gar nichts Brauchbares fiel ihm ein, und darum blieb er untypisch stumm.
    Catalina faltete das halb fertige weiße Leinenhemd säuberlich zusammen und legte es wieder in ihren Schoß. Dann sah sie Nick unverwandt an. »Habt Ihr sie einmal gesehen? Lady Anne Boleyn?«
    Er schluckte. »Flüchtig, Majestät. In Hampton Court letztes Jahr.«
    Sie nickte. »Was ist Euch aufgefallen?« Sie zeigte wieder dieses schöne, stille Lächeln. »Sprecht nur ganz offen, mein junger Freund. Ich will Euch nicht – wie sagt man? – aufs Glatteis führen.«
    »Sie trug zu viel Schmuck. Und irgendetwas stimmt nicht mit ihrer linken Hand.«
    »Ihr seid ein scharfer Beobachter. Sie gibt sich solche Mühe, es zu verbergen, aber sie hat einen verkümmerten sechsten Finger an der Linken.«
    Nick unterdrückte mit Mühe einen Laut des Schreckens. In Waringham sagten die Gevatterinnen, Hexen hätten überzählige Finger oder Zehen. »Und sie ist nicht so schön wie ich dachte«, gestand er unverblümt.
    »Nein, ein eher durchschnittliches Gesicht, das ist wahr«, räumte die Königin ein. Nick hätte erwartet, dass sie es mit Häme sagen würde, aber es klang nüchtern. »Wenn man indessen mit ihr spricht, vergisst man es. Sie ist so lebhaft, gescheit und amüsant, dass man ihrem Charme im Handumdrehen erliegt. Jedenfalls erging es mir so, kaum dass sie als Hofdame zu mir gekommen war. Sie erinnerte mich an Eure Mutter.« Nick fuhr zusammen, aber falls sie es bemerkte, ging sie darüber hinweg. »Auch sie besaß viele Eigenschaften, die mir fehlen, Waringham. Vermutlich habt Ihr kaum Erinnerungen an sie, aber Eure Mutter war eine selbstbewusste, lebenslustige Frau. Wohin sie auch ging, bildete sich bald eine Traube von Menschen um sie.« Ihre kleinen Hände beschrieben einen Kreis, als wolle sie ihm veranschaulichen, was sie meinte. »Und in Windeseile war es eine lachende Traube. Eure Mutter war ein sprudelnder Quell der Heiterkeit und des Esprit. Nicht so ernst wie ich. Trotzdem hatten wir viel gemeinsam. Sie liebte Euren Vater so abgöttisch wie ich den König, und wir haben viele vertrauliche Gespräche darüber geführt, was solch eine Liebe einer Frau abverlangt.« Ihr Blick kehrte zu seinem Gesicht zurück. »Ich vermisse sie.«
    Ja, dachte Nick, ich auch.
    »Mache ich Euch verlegen?«, fragte sie besorgt.
    »Nein. Eifersüchtig«, hörte er sich sagen und schlug hastig die Hand vor den Mund.
    Die Königin schüttelte den Kopf – es war eine beinah gebieterische Geste. »Warum eifersüchtig?«
    »Vergebt mir, Majestät«, bat er zerknirscht. Und als er feststellte, dass sie auf eine Erklärung wartete, sagte er: »Weil Ihr sie so viel besser gekannt habt als ich. Mehr Zeit mit ihr hattet. Und folglich mehr Erinnerungen besitzt.«
    »Es gibt nichts zu vergeben«, befand die Königin. »Einer der Gründe, warum ich nach Euch geschickt habe, war, weil mich mit einem Mal eine große Sehnsucht nach einem aufrichtigen Menschen überkam. An diesem Hof

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