Der dunkle Thron
erkannte er, als er mit raschen, geübten Strichen zu schreiben begann. So war es leichter, als es aussprechen zu müssen. In fünf Sätzen war alles gesagt. Er stand auf, brachte der Königin den Bogen und überreichte ihn ihr schweigend.
Er wandte sich ab, während sie las, aber er sah aus dem Augenwinkel, wie sie die freie Linke unbewusst an die Kehle legte. So verharrte sie länger, als es dauerte, die wenigen Zeilen zu lesen. Schließlich wandte sie sich langsam zum Kamin und riss das Blatt zweimal mitten durch. Das Geräusch erschien Nick sehr laut in der Stille. Dann warf die Königin die Fetzen ins Feuer, kehrte zu ihrem Stuhl zurück und legte sich die Näharbeit wieder auf den Schoß. Versonnen strich sie mit ihren kleinen Händen über das feine Leinen.
Als sie den Blick schließlich hob, war ihr Ausdruck immer noch gleichmütig, aber ein verräterisches Strahlen stand in den schönen dunklen Augen. »Es ist, wie ich befürchtet habe. In Wahrheit geht es dem König nicht um die Frage der Rechtmäßigkeit unserer Ehe. Ich kann aufhören, zu beteuern, dass ich die Wahrheit sage über … seinen Bruder und mich. Er will die Wahrheit nicht wissen. Er will nur Anne. Und den Sohn, den er sich von ihr erhofft. So groß ist seine Entschlossenheit, dass er dafür einen unschuldigen Mann sterben lässt, der einmal sein Freund war. Dabei hat der König durchaus ein Gewissen, das ihn jetzt gewiss quält wegen Eures Vaters.«
»Ich bin keineswegs sicher, ob der König von dieser Sache wusste«, sagte Nick. »Mein Vater glaubte, Wolsey habe eigenmächtig gehandelt, um seine Haut zu retten. Weil er fürchtete, dass er stürzen würde, wenn er die Scheidung nicht möglich machte, koste es, was es wolle.«
Catalina hatte ihm aufmerksam gelauscht und nickte bedächtig. »Nun, mir scheint, das läuft auf das Gleiche hinaus, nicht wahr? In beiden Fällen zeigt es uns, wie es um die Gemütslage des Königs und seine Kompromissbereitschaft mit seinem Gewissen bestellt ist.«
Nick begriff, dass erst die Umstände, die zum Tod seines Vaters geführt hatten, ihr die Aussichtslosigkeit ihres Kampfes um den König wirklich vor Augen geführt hatten. Erst jetzt war sie endgültig gezwungen, sich den Tatsachen zu stellen und aufzuhören, sich etwas vorzumachen. Und obwohl diese Erkenntnis vollkommen niederschmetternd für sie sein musste, blieb sie ruhig und gefasst und besonnen. Wie macht man das ?, fuhr es ihm durch den Kopf.
Nach einer Weile erhob Catalina sich von ihrem ganz und gar unköniglichen Holzstuhl, trat zu ihm und legte ihm die Hand auf den Arm. Die Geste kam ihm unpassend vertraulich vor, waren sie sich doch heute zum ersten Mal begegnet. Aber vielleicht empfand sie ihm gegenüber weniger Fremdheit als umgekehrt, weil sie seinen Eltern nahegestanden hatte. »Es muss sehr schwer für Euch gewesen sein, mir diese Dinge zu offenbaren«, sagte sie ernst. »Gott segne Euch dafür.«
Nick verneigte sich. »Ich wünschte, ich hätte Euch Hoffnungsvolleres offenbaren können«, antwortete er hilflos.
Die Königin nickte. »Ich weiß. Doch kann ich die Dinge, die um mich herum geschehen, jetzt wenigstens besser verstehen und einschätzen. Und meine Entscheidungen in Kenntnis der Fakten treffen. Das ist das Wichtigste in der Politik, hat meine Mutter immer gesagt.«
Nick hätte sie gerne gefragt, ob sie nun dem Drängen des Königs nachgeben und sich freiwillig in ein Kloster zurückziehen würde, um den Weg für eine Annullierung der Ehe freizumachen, aber er wagte es nicht. Es ging ihn ja letztlich auch gar nichts an, gestand er sich ein. Streng genommen konnte es ihm sogar gleich sein. Er wünschte, sie würde ihn entlassen. Er hatte getan, was sie wollte, und ihr die Wahrheit gesagt. Die Folgen wollte er alles in allem lieber dem Londoner Klatsch entnehmen, als sie mit eigenen Augen und Ohren zu erleben. Diese Dame war seine Königin, und sie hatte ihn tief beeindruckt. Aber es war mehr Ehrfurcht als Zuneigung, die er empfand, und es drängte ihn, sie, ihren Kummer, den Palast und den Hof möglichst bald möglichst weit hinter sich zu lassen. Er wollte nichts mit alldem zu schaffen haben.
Ehe er noch entschieden hatte, ob es unverzeihlich wäre, sie zu fragen, ob er gehen dürfe, wurde ohne Vorwarnung die Tür aufgerissen.
»Jetzt ist meine Geduld am Ende, Catalina!«, polterte eine tiefe Männerstimme. Dann trat der König über die Schwelle, und er hielt ein zierliches, junges Mädchen am Arm gepackt. »Ich
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