Der dunkle Thron
Garten trocknete gerade erst, und eine herrliche Duftmischung aus Lavendel und Petersilie wehte zu ihm herüber. Die Maisonne hatte schon erstaunliche Kraft, und es würde nur noch wenige Tage dauern, bis an Sumpfhexes Rosen die ersten Knospen erblühten.
Nick fand Raymond, seine Stiefmutter und ihren Bruder beim Frühstück. Er trat einen Schritt in den Raum, blieb dann stehen und verneigte sich. »Madam. Euer Gnaden. Ray. Guten Morgen.«
»Ah, Nicholas.« Lady Yolanda tat überrascht. »Du bist zurück?«
»Ganz recht.«
»Waringham«, knarzte Norfolk. Seine Stimme erinnerte Nick immer an ein Türscharnier, das dringend geölt werden musste. Sie klang von Natur aus missgelaunt, vermutlich auch dann, wenn er einer schönen Frau ein Kompliment machte. Aber Nick wusste, in seinem Fall war es genauso verdrossen gemeint, wie es sich anhörte: »Was drückt Ihr Euch da an der Tür herum wie ein Dieb? Nehmt schon Platz.«
Nick zwinkerte seinem Bruder verstohlen zu. »Gute Reise gehabt, Ray?«, fragte er, während er auf seinen alten Platz glitt.
»Ja. Und du?« erwiderte der Junge.
»Bestens.« Es gab hundert Dinge, die Nick seinen Bruder fragen wollte, denn er hatte ihn lange nicht gesehen, doch sie schwiegen höflich und warteten, dass der Duke of Norfolk die Unterhaltung eröffnete.
»Ihr wart in Newhall, berichtete man mir?«, fragte der Herzog zwischen zwei Löffeln Fleischbrühe.
»So ist es, Euer Gnaden.« Nick hätte gerne gewusst, wer Norfolk davon erzählt hatte, aber eigentlich spielte es keine Rolle, denn er machte kein Geheimnis aus seinen Besuchen bei Prinzessin Mary.
»Wie ich höre, lässt Lady Mary keine Gelegenheit aus, die zukünftige Königin zu brüskieren«, warf Sumpfhexe ein. »Ich kann nur hoffen, dass du sie darin nicht bestärkst, Nicholas, denn es ist töricht und ungehörig, wenn eine Tochter sich den Wünschen ihres Vaters widersetzt. Für eine Prinzessin erst recht.«
»Nun, das ist sie ja nicht mehr, nicht wahr«, entgegnete Nick liebenswürdig. »Die ›zukünftige Königin‹ hat nach ihrer absurden Hochzeit keine Zeit verloren, Mary davon in Kenntnis zu setzen, dass sie sich fortan nicht mehr Prinzessin nennen dürfe.«
Seine Stiefmutter nickte säuerlich. »Eine bedauerliche Begleiterscheinung der Umstände«, räumte sie ein und konnte sich wie so oft nicht verkneifen, eine Gehässigkeit hinterherzuschieben: »Genau betrachtet ist Mary nun vom gleichen Stand wie das Balg, das deine Magd gestern bekommen hat.«
Nick sah zu seinem Bruder, der mit hochgezogenen Schultern an seinem Platz saß und den Kopf über sein Frühstück gesenkt hielt. Nick hätte Raymond lieber selbst von Eleanors Geburt erzählt, es ihm schonend beigebracht. Aber wenn sich eine Gelegenheit bot, ihn in Raymonds Augen schlechtzumachen, dann war auf Sumpfhexe immer Verlass …
»Ihr werdet eine Einladung zur Krönung erhalten«, teilte Norfolk ihm mit. »Der König gedenkt, Euch im Zuge der Feierlichkeiten den Ritterschlag zu erteilen und offiziell zum Earl of Waringham zu gürten, da Ihr ja beinah volljährig seid.«
Bei der Vorstellung hatte Nick schlagartig das Gefühl, einen Schneeball verschluckt zu haben, doch er sagte lediglich: »Welch unerwartete große Ehre.«
»Unerwartet?« Norfolk riss mit mehr Kraft als nötig ein Stück von einer Brotscheibe ab, als gelte es, sie zu vernichten, weil sie sein Missfallen erregt hatte, und warf es in seine Suppe. »Wieso?«
»Es ist das erste Mal, dass der König mich mit seiner Aufmerksamkeit ehrt.«
»Suffolk war der Ansicht, es sei eine gute Gelegenheit, Euch bei Hofe einzuführen«, grummelte Norfolk. »Er hat es vorgeschlagen, und seine Majestät hat zugestimmt. Wenn Ihr gescheit seid, nutzt Ihr die Chance, die neue Königin Eurer Treue zu versichern und Euch von der unklugen Allianz mit Catalina und ihrem Bastard loszusagen.«
»Habt Dank für Euren Rat, Euer Gnaden«, erwiderte Nick kühl.
»Solltest du erwägen, der Krönung fernzubleiben, wirst du Anlass haben, es zu bereuen«, merkte Lady Yolanda an. Im ersten Moment war Nick irritiert, weil sie ihm einen Rat gab, so als wäre sie um seine Sicherheit besorgt. Dann ging ihm auf, dass sie ihm drohte.
Er ignorierte seine Stiefmutter und wandte sich wieder an deren Bruder. »Natürlich werde ich der Einladung des Königs folgen, wenn sie kommt. Aber ich habe Grund zu der Annahme, dass Sir Thomas der Krönung fernbleiben will.«
»Thomas More?«, fragte Norfolk stirnrunzelnd und fuhr fort, die
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