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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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arme Brotscheibe in Fetzen zu reißen. »Wie kommt Ihr darauf?«
    »Seine Tochter hat es mir gesagt.«
    Norfolk aß geräuschvoll einen Löffel voll und winkte ab. »Weibergeschwätz …«
    »Mag sein. Aber sie kennt ihn gut, Mylord, denn sie genießt sein Vertrauen. Und sie ist in Sorge. Ich …« Nick brach ab. Es fiel ihm schwer, diesen übellaunigen Widerling um etwas zu bitten, aber wenn das der Preis für seine Hilfe war, musste es wohl sein. Der Duke of Norfolk war immer Thomas Mores Freund gewesen, und sie waren Verbündete in ihrer Ablehnung der Reformbewegung, die sich um Thomas Cromwell, Lady Anne Boleyn und den neuen Erzbischof Cranmer gebildet hatte und jeden Tag an politischem Einfluss gewann. »Ich glaube, Lady Meg wäre sehr dankbar, wenn Ihr auf Sir Thomas einwirken würdet.«
    Norfolk steckte sich einen Löffel aufgeweichtes Brot in den Mund und sagte kauend: »Ich könnte ihm nur sagen, was er längst weiß: Der König wird nicht vergessen, wer in dieser schwierigen Zeit für ihn, wer gegen ihn ist. Und es ist gefährlich, ihn zu enttäuschen.«
    Nick schluckte. »Möglicherweise sollte ihn jemand daran erinnern. Nicht ich oder Lady Meg, sondern ein alter Freund, den er bewundert und dessen Meinung er schätzt.«
    »Na schön«, sagte Norfolk. »Ich reite hin.«
    Nick deutete eine Verbeugung an. »Ich bin Euch sehr dankbar, Euer Gnaden.« Es war nicht einmal eine Lüge. Und er dachte: Schmeicheleien sind es also, mit denen man dir beikommt. Vielleicht sollte ich mir das für die Zukunft merken. Er beschloss, die Gunst des Augenblicks zu nutzen: »Würdet Ihr mir wohl gestatten, meinen Bruder für zwei Stunden mit ins Gestüt zu nehmen?«
    Norfolk vollführte eine halb ungeduldige, halb einladende Geste. »Wenn seine Mutter nichts dagegen hat.«
    Nick ballte die Linke, die unter dem Tischtuch versteckt auf seinem Knie lag. War es wirklich möglich, dass er Sumpfhexes Segen brauchte, um einen Vormittag mit seinem Bruder verbringen zu können? Aber er war gewillt, sich auch diesem demütigenden Ritual zu unterziehen. »Madam? Wenn Ihr erlaubt?«
    Sie wollte nicht. Er sah an ihrem Blick, dass sie nach einem Grund suchte, seine Bitte abzuschlagen. Aber zum Glück war sie weder besonders klug noch besonders schlagfertig, und ihr fiel auf die Schnelle nichts ein. »Meinetwegen«, sagte sie. »Aber sorg dafür, dass er sich nicht schmutzig macht. Im Gegensatz zu dir trägt dein Bruder feine Kleider, wie es sich für einen Gentleman gehört.«
    Im Gegensatz zu mir hat mein Bruder einen Vormund, der ihm seine kostbare Garderobe bezahlt, hätte Nick erwidern können. Bei all dem, was er hier herunterschlucken musste, war es kein Wunder, dass er trotz seines leeren Magens und der Düfte am Frühstückstisch keinen Appetit verspürte. Er stand auf, verneigte sich vor seiner Stiefmutter und dem Duke of Norfolk, dann wandte er sich an seinen Bruder: »Raymond? Hast du aufgegessen? Dann komm.«
    Seite an Seite schlenderten sie über den Burghof, und Nick betrachtete seinen Bruder aus dem Augenwinkel. Raymond war ordentlich gewachsen, seit sie sich zuletzt begegnet waren. Seine Beine waren richtig lang geworden, das Gesicht schmaler. Zehn Jahre alt, dachte Nick staunend. Kein kleiner Junge mehr. Raymond wirkte gesund und wohlgenährt und tatsächlich sehr elegant in seiner Schaube aus hellblauem Samt. Und so missgelaunt wie sein Onkel Norfolk, in dessen Haushalt er das letzte Jahr verbracht hatte.
    Nick zerbrach sich den Kopf, was er sagen, wie er dieses Schweigen überwinden sollte. »Geht es dir gut?«, fragte er ein wenig unbeholfen.
    »Ja.« Raymond sah stur geradeaus.
    »Ich war bei Laura und Philipp in London. Laura hat kurz nach Weihnachten eine Tochter bekommen. Hast du sie schon gesehen?«
    »Nein.«
    »Zwei Nichten haben wir jetzt schon. Judith, die kleine, sieht genauso aus wie du.«
    Raymond gab keinen Kommentar ab.
    »Möchtest du reiten oder laufen?«, fragte Nick.
    »Egal.«
    »Sollen wir unseren Cousin John fragen, ob er mitkommen will?«
    Raymond zuckte bockig die Schultern. »Egal.«
    Nick schärfte sich ein, geduldig zu sein. Wortlos führte er seinen Bruder auf die Rückseite der Kapelle.
    »Ich dachte, du willst ins Gestüt«, merkte Raymond an.
    »Ja, gleich. Wenn du nichts dagegen hast, gehen wir vorher kurz an Vaters Grab vorbei.«
    Raymond erwiderte nichts, aber seine Haltung entspannte sich ein wenig. Sein Schritt wurde fließender, die hochgezogenen Schultern sanken herab, sodass er mit

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