Der Dunkle Turm 3 - Tot
ins Haus komme. Es hat Hunger, und ich soll der Hauptgang sein.
Plötzlich fiel ihm ein Stück aus einem Gedicht ein, das Ms. Avery ihnen einmal vorgelesen hatte. Es sollte vom schweren Los des modernen Menschen handeln, der von allen Wurzeln und Traditionen abgeschnitten war, aber Jake dachte jetzt, daß der Mann, der das Gedicht geschrieben hatte, dieses Haus gesehen haben mußte: Ich will dir weisen ein Ding, das weder / Dein Schatten am Morgen ist, der dir nachfolgt / Noch dein Schatten am Abend, der dir begegnet / Ich zeige dir…
»Ich zeige dir die Angst in einer Handvoll Staub«, murmelte Jake und legte eine Hand auf den Türknauf. Als er das tat, durchströmte ihn wieder dieses klare Gefühl von Erleichterung und Gewißheit, das Gefühl, daß es diesmal richtig war, daß sich diesmal die Tür zu einer anderen Welt auftun und er eines Himmels gewahr werden würde, welcher unberührt von Qualm und Industrieabgasen war, und am fernen Horizont würden sich nicht Berge zeigen, sondern die dunstigen, vagen Türme einer prachtvollen unbekannten Stadt.
Er schloß die Finger um den silbernen Schlüssel in seiner Tasche und hoffte, die Tür würde verschlossen sein, damit er ihn benützen konnte. Sie war es nicht. Die Scharniere quietschten, Rostflöckchen rieselten herunter, als sie sich öffnete. Der Geruch von Fäulnis traf Jake wie ein Schlag in den Magen: nasses Holz, schimmliger Verputz, verfaulendes Lattenwerk und uralte Polster. Und unter diesen Gerüchen lag noch ein anderer – der Geruch des Baus eines Tieres. Vor ihm lag eine klamme, schattige Diele. Links erstreckte sich eine Treppe irre schief und gewunden zu den oberen Schatten. Das eingestürzte Geländer lag zersplittert auf dem Dielenboden, aber Jake war nicht so dumm, daß er glaubte, er würde nur Splitter sehen. Es lagen auch Knochen in dem Durcheinander – die Knochen kleiner Tiere. Manche sahen nicht gerade wie Tierknochen aus, und die sah Jake nicht zu lange an; er wußte, wenn er das tat, würde er nie den Mut aufbringen weiterzugehen. Er blieb auf der Schwelle stehen und ermutigte sich, den ersten Schritt zu machen. Er hörte ein leises, gedämpftes Geräusch, abgehackt und sehr schnell, und stellte fest, daß es seine eigenen klappernden Zähne waren.
Warum hält mich nicht jemand auf? dachte er panisch. Warum geht nicht jemand auf dem Gehweg vorbei und ruft: ›He, du da! Du hast da drinnen nichts zu suchen – kannst du nicht lesen?‹
Aber er wußte, warum. Fußgänger benützten meistens die andere Straßenseite, und diejenigen, die doch in die Nähe des Hauses kamen, verweilten nicht lange.
Und selbst wenn jemand herüberschauen würde, würden sie mich nicht sehen, weil ich eigentlich gar nicht mehr da bin. Ob gut oder schlecht, ich habe meine Welt bereits hinter mir gelassen. Der Übergang hat begonnen. Seine Welt liegt irgendwo vor mir. Dies…
Dies war die Hölle dazwischen.
Jake betrat die Diele, und obwohl er schrie, als die Tür mit dem Geräusch einer Mausoleumstür hinter ihm zufiel, war er eigentlich nicht überrascht.
Tief in seinem Innersten war er überhaupt nicht überrascht.
28
Es war einmal eine Frau namens Detta Walker gewesen, die ging gerne in die billigen Kaschemmen und Stundenhotels der Ridgeline Road außerhalb von Nutley und an der Route 88, bei der Überlandleitung außerhalb von Amhigh. Damals hatte sie noch Beine gehabt – und wußte sie zu gebrauchen, wie es in dem Lied hieß. Sie trug ein billiges enges Kleid, das wie Seide aussah, aber keine war, und tanzte mit den weißen Jungs, während die Band alle kitschigen Partyschnulzen wie ›Double Shot of My Babies Love‹ und ›The Hippy-Hippy Shake‹ spielte. Schließlich suchte sie sich ein Käsegesicht aus dem Rudel aus und ließ sich von ihm zu seinem Auto auf dem Parkplatz führen. Dort geilte sie ihn auf (eine der inbrünstigsten Küsserinnen war sie, Detta Walker, und mit den ollen Fingernägeln auch nicht gerade ungeschickt), bis er fast den Verstand verlor… und dann ließ sie ihn abblitzen. Was geschah dann? Nun, das war die Preisfrage, oder nicht? Das war das Spiel. Manche weinten und flehten – ganz gut, aber nicht toll. Andere tobten und schrien, was besser war.
Und obwohl man ihr auf den Kopf geschlagen, die Augen blau gehauen, sie angespuckt und einmal so fest in den Hintern getreten hatte, daß sie vornüber auf den Schotterparkplatz des Red Windmill gestürzt war, war sie nie vergewaltigt worden. Sie waren alle mit
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