Der Dunkle Turm 3 - Tot
verstrickt.
Sie klammerte sich an diesen Gedanken, als hinge ihr Leben davon ab; das mußte sie, weil alle anderen bewußten Gedanken aus ihr gewichen waren. Sie mußte dieses schluchzende, ängstliche, teuflische Ding in der Schlinge seiner eigenen hilflosen Lust festhalten. Es wand sich und zuckte und bohrte sich in sie hinein, schrie danach, befreit zu werden, und benützte ihren Körper gleichzeitig mit einem lüsternen, hilflosen Fieber, aber sie gab es nicht frei.
Und was passiert, wenn ich es schließlich freigebe? fragte sie sich verzweifelt. Was wird es tun, um es mir heimzuzahlen?
Sie wußte es nicht.
31
Es regnete in Strömen, und es sah aus, als würde der Kreis in den Steinen sich in ein Meer aus Schlamm verwandeln. »Halt etwas über die Tür!« schrie Eddie. »Laß nicht zu, daß der Regen sie fortspült!«
Roland riskierte einen Blick auf Susannah und stellte fest, daß diese immer noch mit dem Dämon rang. Sie hatte die Augen halb geschlossen und den Mund zu einer verbissenen Grimasse verzerrt. Er konnte den Dämon weder sehen noch hören, spürte aber seine wütenden, ängstlichen Bewegungen.
Eddie wandte ihm das tropfnasse Gesicht zu. »Hast du nicht gehört?« brüllte er. »Halt etwas über die verdammte Tür, aber SCHNELL!«
Roland riß eines ihrer Felle aus dem Rucksack und nahm eine Ecke in jede Hand. Dann streckte er die Arme aus, beugte sich über Eddie und bildete ein behelfsmäßiges Zelt. Die Spitze von Eddies selbstgemachtem Zeichenstift war schlammverklebt. Er wischte ihn am Ärmel ab und hinterließ dabei eine Schliere in der Farbe von Bitterschokolade, dann schloß er wieder die Faust um den Ast und beugte sich über seine Zeichnung. Sie war nicht so groß wie die Tür auf Jakes Seite – nur etwa drei Viertel so groß –, aber sie würde groß genug sein, daß Jake durchkommen konnte… wenn die Schlüssel funktionierten.
Wenn er überhaupt einen Schlüssel besitzt , hast du das nicht gemeint? fragte er sich. Wenn er ihn nun fallen gelassen hat… oder wenn das Haus ihn dazu gebracht hat, ihn fallen zu lassen?
Er malte ein Rechteck unter den Kreis, der den Türknopf darstellte, zögerte und zeichnete dann den vertrauten Umriß eines Schlüssellochs hinein.
Er zögerte erneut. Da war noch etwas, aber was? Es fiel ihm schwer zu denken, weil ein Wirbelsturm durch seinen Kopf toste, ein Wirbelsturm, in dem wahllose Gedanken wirbelten statt abgedeckter Dächer und Scheunen und Hühnerhäuser.
»Komm schon, Süßah!« schrie Susannah hinter ihm. »Machste schlapp? Wassn los mit dir? Ich hab’ gedacht, du wärstn heißblütiger Hengst, Junge!«
Junge. Das war es.
Mit der Spitze des Astes schrieb er aufmerksam DER JUNGE ins obere Feld der Tür. In dem Augenblick, als er das E vollendet hatte, veränderte sich das Bild. Der Kreis, den er in die regennasse Erde gemalt hatte, wurde noch dunkler… bohrte sich aus dem Boden heraus und wurde zu einem dunklen, glänzenden Knauf. Und anstelle brauner, feuchter Erde in dem Schlüsselloch konnte er ein schwaches Licht erkennen.
Hinter ihm keifte Susannah erneut und feuerte den Dämon an, aber jetzt hörte sie sich an, als würde sie müde werden. Es mußte durchgezogen werden, und zwar schnell.
Eddie beugte sich in der Hüfte nach vorne wie ein Moslem, der Allah anbetet, und hielt das Auge über das Schlüsselloch, das er gezeichnet hatte. Er sah in seine eigene Welt, in das Haus, das er und Henry im Mai 1977 besucht hatten, ohne zu bemerken (nur hatte er, Eddie, es doch bemerkt; schon damals war er nicht völlig ahnungslos gewesen), daß ihnen ein Junge aus einem anderen Stadtteil gefolgt war.
Er sah einen Flur. Jake kauerte auf Händen und Knien und zerrte panisch an einem Dielenbrett. Etwas war hinter ihm her. Eddie konnte es sehen und doch wieder nicht – es war, als würde ein Teil seines Gehirns sich weigern zu sehen, als würde das Sehen zu Verstehen und das Verstehen zu Wahnsinn führen.
»Beeil dich, Jake!« rief er in das Schlüsselloch. »Beweg dich, um Gottes willen!«
Über dem sprechendem Ring grollte Donner am Himmel wie Kanonenfeuer, und der Regen wurde zu Hagel.
32
Nachdem der Schlüssel gefallen war, stand Jake einen Moment nur reglos da und betrachtete die schmale Fuge zwischen den Dielenbrettern.
Unglaublich, aber er war müde.
Das hätte nicht passieren dürfen, dachte er. Es war einfach zuviel. Ich kann nicht mehr, keine Minute, nicht einmal eine einzige Sekunde länger.
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