Der Dunkle Turm 3 - Tot
ein weiterer Donnerknall ertönte, und ein Blitz zuckte über einen Himmel, der jetzt von rasenden Wolken bedeckt wurde.
36
Jake schnellte in die Höhe, packte die Lampenschnur, die über ihm hing, und entzog sich den gekrümmten Fingern des Torwächters. Er schwang zurück, stieß sich von der gestampften Erde in der Tür ab und schwang wieder vorwärts wie Tarzan an einer Liane. Er zog die Beine an und kickte nach den Mörtelfingern, als er in ihre Nähe kam. Mörtel explodierte zu Trümmern und entblößte ein Skelett aus Latten darunter. Der Mörtelmann brüllte, eine Mischung aus Gier und Wut. Über diesen Schrei hinweg konnte Jake hören, wie das ganze Haus einstürzte – wie das in der Geschichte von Edgar Allan Poe.
Er schwang wie ein Pendel zurück, berührte die Wand gestampfter Erde, die die Tür versperrte, und schwang wieder nach vorne. Die Hand streckte sich ihm entgegen; er kickte panisch danach und spreizte die Beine. Er verspürte stechende Schmerzen im Bein, als die Holzfinger zupackten, und wie er das nächstemal zurückschwang, fehlte ihm ein Turnschuh.
Er versuchte, sich an der Lampenschnur hochzuziehen, was ihm gelang, und kletterte Richtung Decke. Über ihm erklang ein gedämpftes, berstendes Krachen. Feiner Mörtelstaub regnete ihm in das aufwärts gerichtete, schwitzende Gesicht. Die Decke gab nach, die Lampenschnur glitt Segmet für Segment daraus hervor. Vom Ende des Flurs erklang ein Knirschen, als es dem Mörtelmann endlich gelang, das gierige Gesicht durch die Öffnung zu zwängen.
Jake schwang hilflos schreiend zu diesem Gesicht zurück.
37
Eddies Panik und Entsetzen fielen mit einemmal von ihm ab. Der Mantel der Kälte senkte sich über ihn – ein Mantel, den Roland von Gilead viele Male getragen hatte. Er war die einzige Rüstung, die der wahre Revolvermann besaß… und die er brauchte. Gleichzeitig sprach eine Stimme in seinem Verstand. In den letzten drei Monaten hatten ihn solche Stimmen gequält; die Stimme seiner Mutter, Rolands Stimme und natürlich die von Henry. Aber diese, stellte er erleichtert fest, war seine eigene, und sie war endlich ruhig und vernünftig und tapfer.
Du hast die Form des Schlüssels im Feuer gesehen, du hast sie wieder in dem Holz gesehen, und du hast sie beide Male deutlich gesehen. Später hast du dir eine Binde der Angst über die Augen gelegt. Nimm sie ab. Nimm sie ab und sieh noch einmal hin. Es ist vielleicht noch nicht zu spät.
Er bekam am Rande mit, daß der Revolvermann ihn grimmig betrachtete; daß Susannah mit schwächerer, aber immer noch trotziger Stimme auf den Dämon einschrie; daß Jake auf der anderen Seite der Tür vor Entsetzen aufschrie – oder war es jetzt vor Schmerzen?
Eddie achtete auf gar nichts. Er zog den Holzschlüssel aus dem Schlüsselloch, das er gezeichnet hatte, aus der Tür, die jetzt echt war, und betrachtete ihn eindringlich, während er versuchte, die unschuldige Freude heraufzubeschwören, die er manchmal als Kind empfunden hatte – die Freude, eine verständliche Form im Sinnlosen zu sehen. Und da war sie, die Stelle, wo er den Fehler gemacht hatte, so überdeutlich, daß ihm unbegreiflich war, wie er sie überhaupt hatte übersehen können. Ich muß wirklich eine Augenbinde getragen haben, dachte er. Es lag selbstverständlich an der S-Form am Ende des Schlüssels. Die zweite Kurve war ein bißchen zu dick. Nur ein winziges bißchen.
»Messer«, sagte er und streckte die Hand aus wie ein Chirurg im Operationssaal. Roland drückte es ihm ohne ein Wort in die Hand.
Eddie nahm das Ende der Klinge zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand. Er beugte sich über den Schlüssel, achtete nicht auf den Hagel, der ihm auf den ungeschützten Nacken prasselte, und sah die S-Form im Holz, die jetzt deutlicher vorstand – mit ihrer eigenen lieblichen und unbestreitbaren Realität vorstand.
Er schnitzte.
Einmal.
Zaghaft.
Ein winziges Scheibchen Eschenholz, so dünn, daß es fast transparent war, schälte sich vom Bauch der S-Form am Ende des Schlüssels.
Auf der anderen Seite der Tür schrie Jake Chambers erneut.
38
Die Schnur riß mit einem Klirren. Jake stürzte ab wie ein Stein und landete auf den Knien. Der Torwächter schrie triumphierend. Die Mörtelhand packte Jake an der Taille und zog ihn langsam den Flur entlang. Er machte die Beine steif und stemmte die Fersen gegen den Sog, aber es war vergebens. Er spürte, wie sich Splitter und rostige Nägel in
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