Der Dunkle Turm 3 - Tot
befreite sich plötzlich aus dem Griff der älteren. »Ich verschwinde von hier«, sagte sie und lief die Straße entlang, ohne sich noch einmal umzudrehen.
34
Ein heißer, merkwürdiger Wind wehte mit einemmal den Flur entlang und blies Jake das schweißnasse Haar aus der Stirn, während seine Finger sich um den silbernen Schlüssel verkrampften. Er begriff jetzt auf einer instinktiven Ebene, was dieses Haus war und was gerade stattfand. Der Torwächter war nicht einfach in dem Haus, er war das Haus: jedes Brett, jede Schindel, jeder Fenstersims, jeder Erker. Und jetzt drängte er vorwärts und wurde dabei zu einer irren, gehackstückelten Repräsentation seiner wahren Gestalt. Er wollte Jake packen, bevor dieser den Schlüssel benützen konnte. Hinter dem gigantischen weißen Kopf und der verkrümmten, buckligen Schulter flogen Bretter und Schindeln und Kabel und Glasscherben – sogar von der Eingangstür und dem eingestürzten Geländer – durch die Diele in den Ballsaal, vereinigten sich mit der Gestalt dort und schufen mehr und mehr von dem mißgestalteten Mörtelmann, der jetzt die ungeschlachte Hand nach Jake ausstreckte.
Jake zog seine Hand aus dem Spalt im Boden und sah, daß sie von großen, krabbelnden Käfern bedeckt war. Er schlug gegen die Wand, um sie abzuschütteln, und schrie auf, als sich die Wand auftat und dann versuchte, sich um sein Handgelenk zu schließen. Er konnte die Hand gerade noch rechtzeitig herausziehen, wirbelte herum und rammte den silbernen Schlüssel ins Schlüsselloch.
Der Mörtelmann brüllte wieder, aber sein Schrei wurde vorübergehend von einem harmonischen Ruf übertönt, den Jake kannte: Er hatte ihn auf dem Brachgrundstück gehört, doch damals war er leise gewesen, möglicherweise träumend. Jetzt war es ein schallender Triumphschrei. Das Gefühl der Sicherheit – überwältigend, unbestreitbar – erfüllte Jake wieder, und diesmal war er gewiß, er würde nicht enttäuscht werden. Er hörte die Ermutigung, die er brauchte, aus dieser Stimme heraus. Es war die Stimme der Rose.
Das düstere Licht im Flur wurde vollends verdunkelt, als die Mörtelhand die andere Schiebetür wegriß und sich in den Flur zwängte. Das Gesicht quetschte sich an die Öffnung über der Hand und betrachtete Jake. Die Mörtelfinger krabbelten auf ihn zu wie die Beine einer Riesenspinne.
Jake drehte den Schlüssel herum und spürte, wie ein Energiestrom seinen Arm entlangfloß. Er hörte ein schweres, gedämpftes Pochen, als der Riegel drinnen zurückschnappte. Er packte den Knauf und drehte und riß die Tür auf. Diese schwang zurück. Jake schrie verwirrt und entsetzt auf, als er sah, was dahinter lag.
Der Durchgang war mit Erde versperrt – von oben bis unten, von rechts bis links. Wurzeln ragten wie Kabel daraus hervor. Würmer, die ebenso verwirrt zu sein schienen wie Jake selbst, schlängelten sich auf der türförmigen, gestampften Erde hin und her. Manche bohrten sich wieder hinein, andere krabbelten einfach weiter herum, als würden sie sich fragen, wohin der Boden verschwunden war, den sie vor einem Augenblick noch unter sich gehabt hatten. Einer fiel auf Jakes Turnschuh.
Die Schlüssellochform blieb noch einen Moment erhalten und warf ein vages weißes Licht auf Jakes Hemd. Dahinter – so nahe, so unerreichbar! – konnte er Regen und gedämpftes Donnergrollen am offenen Himmel hören. Dann wurde auch das Schlüsselloch verdeckt, und riesige Mörtelfinger krümmten sich um Jakes Bein.
35
Eddie spürte das Prasseln des Hagels nicht, als Roland das Fell fallen ließ, aufsprang und zu der Stelle lief, wo Susannah lag.
Der Revolvermann packte sie unter den Achseln und zog sie – so sanft und behutsam er konnte – zum kauernden Eddie hinüber. »Laß ihn los, wenn ich es dir sage, Susannah!« brüllte Roland. »Hast du verstanden? Wenn ich es dir sage!«
Das alles sah und hörte Eddie nicht. Er hörte nur Jake, der gedämpft auf der anderen Seite der Tür schrie.
Die Zeit war gekommen, den Schlüssel zu benützen.
Er zog ihn aus dem Hemd und steckte ihn in das Schlüsselloch, das er gezeichnet hatte. Er versuchte, ihn zu drehen. Der Schlüssel drehte sich nicht. Keinen Millimeter. Eddie hob das Gesicht in den prasselnden Hagel, achtete nicht auf die Eiskörner, die ihm auf Stirn, Wangen, Lippen prasselten und Schwellungen und rote Flecken hinterließen.
»NEIN!« heulte er. »O GOTT, BITTE! NEIN!«
Aber er bekam keine Antwort von Gott; lediglich
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