Der Dunkle Turm 3 - Tot
sogar die alten Süßigkeitenverpackungen und weggeworfenen Bierflaschen anzusehen war, als würde man die größten Gemälde aller Zeiten betrachten. Erst dann wurde mir klar, daß es eine Sonne war. Ich weiß, es klingt verrückt, aber das war es. Doch es war mehr als eine. Es waren…«
»Es waren alle Sonnen«, murmelte Roland. »Es war alles Existierende.«
»Ja! Und es war richtig – aber es war auch falsch. Ich kann nicht erklären, warum es falsch war, aber es war. Es war wie zwei Herzschläge, einer im anderen, und der innere hatte eine Krankheit. Oder eine Infektion. Und dann verlor ich das Bewußtsein.«
23
»Du hast am Ende deines Traums dasselbe gesehen, Roland, oder nicht?« fragte Susannah. Ihre Stimme klang leise und ehrfürchtig. »Der Grashalm, den du am Ende gesehen hast… du hast gedacht, der Halm wäre purpurn, weil er mit Farbe verspritzt war.«
»Ihr versteht nicht«, sagte Jake. »Es war wirklich purpurn. Als ich es gesehen habe, wie es wirklich war, da war das Gras purpurn. Solches Gras hatte ich noch nie gesehen. Die Farbe war nur Tarnung. So wie der Torwächter sich als altes, verlassenes Haus getarnt hat.«
Die Sonne hatte den Horizont erreicht. Roland fragte Jake, ob er ihnen jetzt Charlie Tschuff-Tschuff zeigen und es ihnen vorlesen wollte. Jake reichte das Buch herum. Eddie und Susannah betrachteten den Einband lange Zeit.
»Das Buch hatte ich als kleiner Junge auch«, sagte Eddie schließlich. Er sagte es im unbetonten Tonfall absoluter Sicherheit. »Dann sind wir von Queens nach Brooklyn gezogen – ich war nicht einmal vier Jahre alt –, und da habe ich es verloren. Aber an das Umschlagbild kann ich mich erinnern. Und mir erging es ebenso wie dir, Jake. Es hat mir nicht gefallen. Ich habe ihm nicht getraut.«
Susannah hob den Kopf und sah Eddie an. »Ich hatte es auch – wie könnte ich das kleine Mädchen mit meinem Namen vergessen… auch wenn es damals nur mein zweiter Vorname war. Und was den Zug betrifft, habe ich genauso empfunden. Ich konnte ihn nicht leiden und habe ihm nicht getraut.« Sie klopfte mit einem Finger auf den Bucheinband, bevor sie es Roland reichte. »Ich fand, das Lächeln war nichts weiter als ein dicker, fetter Schwindel.«
Roland warf nur einen flüchtigen Blick darauf, dann richtete er den Blick wieder auf Susannah. »Hast du deins auch verloren?«
»Ja.«
»Und ich wette, ich weiß auch wann«, sagte Eddie.
Susannah nickte. »Jede Wette. Nachdem der Mann den Backstein auf meinen Kopf fallen ließ. Ich hatte es noch, als wir zur Hochzeit meiner Tante Blue nach Norden fuhren. Im Zug hatte ich es noch. Das weiß ich noch, weil ich meinen Dad gefragt habe, ob Charlie Tschuff-Tschuff uns zieht. Ich wollte nicht, daß es Charlie war, denn wir wollten nach Elizabeth, New Jersey, und ich dachte mir, Charlie könnte uns sonstwo hinbringen. Hat er nicht zuletzt Leute durch ein Spielzeugdorf gefahren, oder so was, Jake?«
»Einen Freizeitpark.«
»Ja, genauso war es. Am Ende ist ein Bild, wie er Kinder dort spazierenfährt, oder nicht? Sie haben alle gelächelt oder gelacht, aber ich fand stets, sie sehen aus, als würden sie schreien, man solle sie endlich aussteigen lassen.«
»Ja!« rief Jake. »Ja, das ist richtig! Genau richtig!«
»Ich hatte Angst, Charlie könnte uns zu sich bringen – wo auch immer er lebte – statt zur Hochzeit meiner Tante und uns nie mehr nach Hause lassen.«
»Man kann nicht nach Hause zurückkehren«, sagte Eddie nervös und strich sich mit der Hand durchs Haar.
»Die ganze Zeit, während wir mit diesem Zug fuhren, habe ich das Buch nicht losgelassen. Ich kann mich sogar noch erinnern, wie ich gedacht habe: ›Wenn er versucht, uns zu entführen, reiße ich ihm die Seiten aus, bis er aufgibt.‹ Aber selbstverständlich sind wir an unserem Ziel angekommen, und obendrein pünktlich. Daddy hat mich mit nach vorne genommen, damit ich die Lokomotive sehen konnte. Es war eine Diesellok, keine Dampflok, und ich weiß noch, daß mich das gefreut hat. Nach der Hochzeit hat mir dann dieser Mort den Backstein auf den Kopf fallen lassen, und ich lag lange im Koma. Danach habe ich Charlie Tschuff-Tschuff nie wiedergesehen. Bis heute.« Sie zögerte, dann fügte sie hinzu: »Dies hier könnte mein Exemplar sein – oder das von Eddie.«
»Klar – ist es wahrscheinlich auch«, sagte Eddie. Sein Gesicht war blaß und feierlich… und dann grinste er wie ein kleiner Junge. »›Ist die SCHILDKRÖTE nicht fein?
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