Der Dunkle Turm 3 - Tot
seine Augen gesehen. Er kannte das Gesicht seines Vaters. Ich glaube, er kannte es sehr gut. Und dann… erinnerst du dich an den Namen von Balazars Nachtclub?«
»Klar«, sagte Eddie unbehaglich. »Leaning Tower – der Schiefe Turm. Aber das hätte Zufall sein können. Du hast selbst gesagt, daß Ka nicht alles regiert.«
Roland nickte. »Du bist wirklich wie Cuthbert – ich erinnere mich an etwas, das er sagte, als wir noch Knaben waren. Wir planten einen mitternächtlichen Ausflug zum Friedhof, aber Alain wollte nicht mitkommen. Er sagte, er hätte Angst davor, die Schatten seiner Väter und Mütter zu beleidigen. Cuthbert hat ihn ausgelacht. Er sagte, er würde erst an Geister glauben, wenn er einen mit den Zähnen gefangen hatte.«
»Gut für ihn!« rief Eddie. »Bravo!«
Roland lächelte. »Ich dachte mir, daß dir das gefallen würde. Wie auch immer, lassen wir diesen Geist vorerst ruhen. Fahr mit deiner Geschichte fort.«
Eddie erzählte von der Vision, die über ihn kam, als Roland den Kieferknochen ins Feuer geworfen hatte – die Vision von Schlüssel und Rose. Er erzählte von seinem Traum und wie er durch die Tür von Tom und Gerry’s künstlerischem Delikatessengeschäft auf das Feld der Rosen gelangt war, über dem der dunkle, rußfarbene Turm aufragte. Er erzählte von der Schwärze, die aus den Fenstern herausgequollen war und eine Form angenommen hatte; inzwischen sprach er Jake direkt an, denn Jake hörte voll besessener Konzentration und zunehmenden Staunens zu. Er bemühte sich, das Hochgefühl und Grauen zu vermitteln, mit welchen der Traum ihn erfüllt hatte, und sah ihren Augen an – besonders denen von Jake –, daß ihm das besser gelang, als er zu hoffen gewagt hatte… oder sie hatten selbst Träume gehabt.
Er erzählte, wie sie Shardiks Spur zum Portal des Bären zurückverfolgt hatten, und wie er sich an den Tag erinnerte, an dem er seinen Bruder überredet hatte, mit ihm nach Dutch Hill zu gehen, damit sie sich die Villa ansehen konnten, als er den Kopf an das Portal gehalten hatte. Er erzählte von der Tasse und der Nadel und wie die Nadel unnötig geworden war, nachdem sie festgestellt hatten, daß sie das Wirken des Balkens an allem ablesen konnten, selbst am Flug der Vögel am Himmel.
An dieser Stelle griff Susannah die Erzählung auf. Als sie anfing zu erzählen, wie Eddie sich daranmachte, seine eigene Version des Schlüssels zu schnitzen, legte Jake sich zurück, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und sah den Wolken nach, die langsam auf ihrem geraden südöstlichen Kurs zur Stadt trieben. Ihre geordnete Form zeigte die Präsenz des Balkens so deutlich wie Rauch aus einem Schornstein die Windrichtung anzeigt.
Sie kam zum Ende mit der Geschichte, wie sie Jake schließlich in diese Welt gezogen und damit die Teilung in seiner und Rolands Erinnerung so plötzlich und unwiderruflich beseitigt hatten, wie Eddie die Tür in dem sprechenden Ring zugeschlagen hatte. Die einzige Tatsache, die sie verschwieg, war eigentlich keine Tatsache. Heute morgen war ihr nicht schlecht gewesen, und eine einzige Periode, die ausgesetzt hatte, sagte nicht besonders viel. Wie Roland selbst sagen würde, das war eine Geschichte, die man sich besser für einen anderen Tag aufhob. Doch als sie fertig war, wünschte sie, sie könnte vergessen, was Tante Talitha gesagt hatte, als Jake ihr eröffnete, daß dies jetzt seine Welt war: Dann hab’ Gott Erbarmen mit dir, denn die Sonne geht in dieser Welt unter. Und sie geht für immer unter.
»Und jetzt bist du an der Reihe, Jake«, sagte Roland.
Jake setzte sich und sah Richtung Lud, wo die Fenster der hohen Türme das Spätnachmittagslicht als goldene Schleier spiegelten. »Die ist vollkommen verrückt«, murmelte er, »aber sie ergibt fast einen Sinn. Wie ein Traum, wenn man aufwacht.«
»Vielleicht können wir dir helfen, sie zu erklären«, sagte Susannah.
»Vielleicht. Zumindest könnt ihr mir helfen, über den Zug nachzudenken. Ich habe es satt, allein zu versuchen, hinter den Sinn von Blaine zu kommen.« Er seufzte. »Ihr wißt, was Roland durchgemacht hat, zwei Leben auf einmal gelebt, also kann ich mir den Teil schenken. Ich bin sowieso nicht sicher, ob ich erklären könnte, wie mir zumute war, und ich will es eigentlich auch nicht. Es war schrecklich. Ich glaube, ich fange mit meinem Abschlußaufsatz an, denn da habe ich endgültig die Hoffnung aufgegeben, daß alles einfach wieder aufhören könnte.« Er sah sie nacheinander
Weitere Kostenlose Bücher