Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Dunkle Turm 3 - Tot

Titel: Der Dunkle Turm 3 - Tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: King Stephen
Vom Netzwerk:
schien sich eine Reihe gemeißelter Gesichter aus dem Marmor zu drängen und aus den Schatten auf sie herabzusehen – strenge Männer mit den grimmigen Gesichtern von Henkern, denen ihre Arbeit Spaß macht. Einige der Gesichter waren von ihren angestammten Plätzen heruntergefallen und lagen in Trümmern und Granitsplittern zwanzig oder fünfundzwanzig Meter unter ihren Genossen. Die verbliebenen waren von spinnwebgleichen Rissen überzogen und von Taubendreck verunziert.
    »Das muß das Hohe Gericht oder so was gewesen sein«, sagte Eddie und betrachtete unbehaglich die verkniffenen Lippen und leeren Augen. »Nur Richter können so überlegen und gleichzeitig so stinkesauer dreinblicken – du sprichst mit einem, der es weiß. Da ist nicht einer dabei, der einer Krüppel-Krabbe eine Krücke geben würde.«
    »›Gehäuf zerbrochner Bilder unter Sonnenbrand, der tote Baum gibt Obdach nicht‹«, murmelte Susannah, und bei diesen Worten spürte Eddie, wie ihm Gänsehaut über Arme, Brust und Beine tanzte.
    »Was ist das, Suze?«
    »Ein Gedicht von einem Mann, der Lud in seinen Träumen gesehen haben muß«, sagte sie. »Komm, Eddie. Vergiß sie.«
    »Leichter gesagt als getan.« Aber er schob sie weiter.
    Vor ihnen schälte sich eine breite Gitterbarriere wie eine Burgmauer aus dem Halbdunkel… und dahinter sahen sie zum erstenmal Blaine, den Mono. Er war rosa, genau wie Eddie es vorhergesagt hatte, eine zarte Farbe, die zu den Adern in den Marmorsäulen paßte. Blaine schwebte als glatte, stromlinienförmige Projektilgestalt über der breiten Ladeplattform und schien mehr aus Fleisch denn aus Metall zu sein. Die Oberfläche wurde nur einmal unterbrochen – von einem dreieckigen Fenster mit riesigem Wischer. Eddie wußte, auf der anderen Seite der Schnauze des Mono würde sich ein zweites dreieckiges Fenster mit Wischer befinden, so daß Blaine ein Gesicht haben würde, wenn man ihn von vorne betrachtete, genau wie Charlie Tschuff-Tschuff. Die Wischer würden wie listig gesenkte Lider aussehen.
    Weißes Licht von einer Öffnung im Südosten fiel als langgezogenes, verzerrtes Rechteck auf Blaine. Eddie fand, der Zug sah wie der Rücken eines legendären rosa Wals aus – der vollkommen stumm war.
    »Mann.« Seine Stimme war zu einem Flüstern geworden. »Wir haben ihn gefunden.«
    »Ja. Blaine, der Mono.«
    »Ist er tot, was meinst du? Er sieht tot aus.«
    »Nein. Er schläft vielleicht, aber tot ist er noch lange nicht.«
    »Sicher?«
    »Warst du sicher, daß er rosa sein würde?« Das war keine Frage, die er beantworten mußte, also ließ er es sein. Als sie sich zu ihm umdrehte, war ihr Gesicht nervös und sehr ängstlich. »Er schläft, und weißt du was? Ich habe Angst davor, ihn zu wecken.«
    »Nun, dann warten wir auf die anderen.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich denke, wir sollten uns lieber auf ihre Ankunft vorbereiten… ich habe so eine Ahnung, als könnten sie auf der Flucht sein, wenn sie kommen. Schieb mich zu dem Kästchen an den Stangen. Scheint eine Sprechanlage zu sein. Siehst du es?«
    Er sah es und schob sie langsam dorthin. Es befand sich an einer Seite eines verschlossenen Tors in der Mitte der Barriere, die sich durch die ganze Krippe zog. Die vertikalen Streben der Barriere sahen wie Edelstahl aus; die beim Tor schienen aus Schmiedeeisen zu bestehen, ihre unteren Enden verschwanden in stahlverkleideten Löchern im Boden. Eddie sah, daß es ihnen beiden unmöglich sein würde, sich zwischen diesen Streben durchzuzwängen. Die Lücken zwischen den Stangen waren nicht einmal zehn Zentimeter breit. Das wäre selbst für Oy eng geworden.
    Über ihnen plusterten sich Tauben auf und gurrten. Der linke Reifen von Susannahs Rollstuhl quietschte monoton. Ein Königreich für ein Ölkännchen, dachte Eddie und stellte fest, daß er mehr als nur Angst hatte. Ein solches Ausmaß an Grauen hatte er zum letztenmal an dem Tag verspürt, als er und Henry auf dem Gehweg der Rhinehold Street in Dutch Hill gestanden und die Ruine der Villa betrachtet hatten. An jenem Tag im Jahr 1977 waren sie nicht hineingegangen; sie hatten dem Spukhaus den Rücken zugekehrt, und er wußte noch, er hatte sich geschworen, daß er nie, nie wieder dorthin gehen würde. Dieses Versprechen hatte er gehalten, aber jetzt befand er sich wieder in einem Spukhaus, und derjenige, der spukte, stand gleich da drüben – Blaine, der Mono, ein langer rosafarbener Schemen, mit einem Fenster, das ihn ansah wie das Auge eines gefährlichen

Weitere Kostenlose Bücher