Der Dunkle Turm 4 - Glas
festsaß. In die rostige Raute seines Kopfes war ein Stern mit sechs Zacken eingestanzt. Im Lauf der Jahre war es ihm gelungen, eine flache Nische in die stahlverkleidete Wand zu graben, die ihm den Weg versperrte, aber das war auch alles.
»Zeig deinen Ausweis, Kumpel! Südlich und östlich der Stadt sind erhöhte Strahlenwerte möglich! Zeig deinen Ausweis, Kumpel! Südlich und östlich der Stadt sind erhöhte Strahlenwerte möglich!«
Eine aufgedunsene Ratte, die blind war und ihre Eingeweide in einem Sack wie eine verfaulte Plazenta hinter sich herzog, schleppte sich über die Füße des Wachroboters. Der Wachroboter bemerkte es nicht, sondern schlug weiter seinen Stahlkopf gegen die Stahlwand. »Zeig deinen Ausweis, Kumpel! Erhöhte Strahlenwerte möglich, Paps tottert und die Götter verflucht!« Hinter ihm in der Hotelbar grinsten die Schädel von Männern und Frauen, die auf einen letzten Drink hierher gekommen waren, bevor die Katastrophe sie einholte, als wären sie lachend gestorben. Vielleicht traf das auf einige von ihnen auch zu.
Als Blaine der Mono oben vorbeidonnerte und wie eine Kugel durch den Lauf eines Gewehrs durch die Nacht schoss, zerbrachen Fensterscheiben, Staub regnete herab, und mehrere Schädel zerfielen wie uralte getöpferte Vasen zu Staub. Draußen wehte kurz ein Wirbelsturm radioaktiven Staubes durch die Straße, und der Pfosten zum Festzurren der Pferde vor dem Elegant Beef and Pork Restaurant wurde wie Rauch in den stürmischen Luftzug gesogen. Auf dem Stadtplatz zerbarst der Springbrunnen von Candleton in zwei Teile, aber kein Wasser ergoss sich daraus, sondern nur Staub, Schlangen, mutierte Skorpione und einige der blind krabbelnden Schildkrötenkäfer.
Dann war der Schemen, der über die Stadt dahinraste, wieder verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben, Candleton wandte sich wieder dem Zerfallen und Verwittern zu, der Tätigkeit, die in den letzten zweieinhalb Jahrhunderten ihr Ersatz für das Leben gewesen war… und dann kam der Überschallknall, dessen Donnerschlag zum ersten Mal seit sieben Jahren über der Stadt ertönte und genügend Vibration erzeugte, dass der Kaufladen auf der anderen Seite des Springbrunnens einstürzte. Der Wachroboter versuchte, eine letzte Warnung auszustoßen: »Erhöhte Strah…«, und dann fiel er endgültig aus und stand in der Ecke wie ein Kind, das unartig gewesen war.
Zwei- oder dreihundert Räder außerhalb der Stadt, wenn man sich auf dem Pfad des Balkens bewegte, sanken die Strahlungswerte und die Konzentration von DEP3 im Erdreich rapide. Hier verlief die Schiene des Mono keine drei Meter über dem Boden, und hier kam eine Hirschkuh, die fast normal aussah, graziös aus einem Fichtenwald geschritten und trank aus einem Bach, dessen Wasser sich zu drei Vierteln selbst gereinigt hatte.
Die Hirschkuh war nicht normal – der Stummel eines fünften Beins hing wie eine Zitze von der Bauchmitte herab und schwang beim Gehen wirbellos hin und her, und ein blindes drittes Auge schaute milchig von der linken Seite der Schnauze. Dennoch war sie fruchtbar und ihre DNS für einen Mutie der zwölften Generation in einem hinreichend guten Zustand. In den sechs Jahren ihres Lebens hatte sie drei lebende Junge zur Welt gebracht. Zwei dieser Kitze waren nicht nur lebensfähig gewesen, sondern normal – Vieh mit guter Erblinie hätte Tante Talitha aus River Crossing sie genannt. Das dritte, ein grässlich plärrendes nacktes Ding, war rasch von seinem Erzeuger getötet worden.
Die Welt hatte – jedenfalls in diesem Teil – damit angefangen, sich selbst zu heilen.
Die Hirschkuh senkte das Maul ins Wasser, fing an zu trinken und schaute dann mit großen Augen und tropfender Schnauze auf. In der Ferne konnte sie ein leises summendes Geräusch hören. Einen Augenblick später folgte ein leuchtendes Lichtpünktchen. Furcht durchzuckte die Nerven der Hirschkuh, aber obwohl ihre Reflexe schnell waren und das Licht, als sie es zum ersten Mal sah, noch viele Räder des einsamen Landstrichs entfernt, hatte sie keine Chance zu fliehen. Bevor sie auch nur daran denken konnte, ihre Muskeln in Bewegung zu setzen, war das ferne Fünkchen zu einem sengenden Wolfsauge aus Licht geworden, das die Lichtung und den Bach mit seinem Leuchten überflutete. Mit dem Licht kam das wütende Summen von Blaines Slo-Trans-Motoren, die mit Höchstleistung liefen. Ein rosa Streifen war über dem Betonwall zu sehen, auf dem sich die Schiene befand; ein Kometenschweif von Staub,
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