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Der Dunkle Turm 4 - Glas

Titel: Der Dunkle Turm 4 - Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: King Stephen
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aufmüpfige Nichte endlich das Haus verließ und die ärgerliche Angelegenheit ihrer Defloration überstanden war, schoss aus dem Schaukelstuhl und lief zum Küchenfenster, als sie, rund zwei Stunden nachdem Susan das Haus mit diesem kleinen Krümel von einem Mädchen verlassen hatte, um eines ihrer Kleider neu richten zu lassen, den Hufschlag eines galoppierenden Pferdes hörte. Sie hegte keinen Zweifel daran, dass er Susans Rückkehr ankündigte, und sie hegte keinen Zweifel daran, dass Ärger ins Haus stand. Unter gewöhnlichen Umständen hätte das dumme Ding an so einem heißen Tag keines ihrer geliebten Pferde je zum Galopp gezwungen.
    Sie sah hinaus und zupfte nervös an ihren Fingern, als Susan ihr Pferd ganz undelgadohaft scharf zum Stehen brachte und mit einem alles andere als damenhaften Sprung abstieg. Ihr Zopf war teilweise aufgegangen, sodass ihr blondes Haar, das ihr ganzer Stolz (und ihr Fluch) war, in alle Richtungen wehte. Ihre Haut war blass, abgesehen von zwei roten Flecken auf den Wangenknochen. Diese Flecken gefielen Cordelia ganz und gar nicht. Pat hatte sie immer an denselben Stellen gehabt, wenn er entweder ängstlich oder wütend gewesen war.
    Nun stand sie am Spülstein und biss sich zusätzlich zum Fingerzupfen noch auf die Lippen. Ach, wie schön wäre es doch, dieses störende Weibsbild endlich von hinten zu sehen. »Du hast doch keinen Ärger gemacht, oder?«, flüsterte sie, als Susan den Sattel von Pylons Rücken zog und das Tier zum Stall führte. »Das solltest du lieber nicht, Miss O So Jung Und Hübsch. Nicht zu diesem vorgerückten Zeitpunkt. Das solltest du lieber nicht.«
     
     
    4
     
    Als Susan zwanzig Minuten später hereinkam, merkte man ihrer Tante die Anspannung und Wut nicht an; Cordelia hatte beides weggeschlossen, wie man vielleicht eine gefährliche Waffe – beispielsweise einen Revolver – in einem hohen Fach im Schrank verstauen mochte. Sie saß in ihrem Schaukelstuhl und strickte, und das Gesicht, das sie Susan beim Eintreten zuwandte, hatte etwas oberflächlich Gelassenes. Sie sah dem Mädchen zu, wie es zum Spülstein ging, kaltes Wasser ins Becken pumpte und es sich dann ins Gesicht spritzte. Aber statt nach einem Handtuch zu greifen, um sich abzutrocknen, sah Susan nur mit einer Miene zum Fenster hinaus, die Cordelia zutiefst ängstigte. Das Mädchen hielt diese Miene fraglos für gequält und verzweifelt; für Cordelia sah sie nur kindisch eigensinnig aus.
    »Nun gut, Susan«, sagte sie mit einer ruhigen, gedämpften Stimme. Das Mädchen würde nie erfahren, wie viel Anstrengung es kostete, diesen Ton zu erreichen, geschweige denn zu halten. Es sei denn, sie würde es eines Tages auch einmal mit einem eigensinnigen Teenager zu tun bekommen. »Was hat Sie so aus der Fassung gebracht?«
    Susan drehte sich zu ihr um – Cordelia Delgado, die einfach nur seelenruhig in ihrem Schaukelstuhl saß. In diesem Augenblick glaubte Susan, sie könnte sich auf ihre Tante stürzen, ihr das schmale, selbstgefällige Gesicht zerkratzen und schreien: Das ist alles deine Schuld! Deine! Ganz allein deine! Sie fühlte sich besudelt; nein, das war nicht stark genug, sie fühlte sich beschmutzt, und dabei war eigentlich gar nichts passiert. Das war das Schreckliche daran. Noch war eigentlich gar nichts passiert.
    »Sieht man es mir an?«, sagte sie nur.
    »Natürlich sieht man es Ihr an«, antwortete Cordelia. »Nun sag mir, Mädchen, hat er Sie bedrängt?«
    »Ja… nein… nein.«
    Tante Cord saß im Schaukelstuhl, hatte das Strickzeug im Schoß, die Brauen hochgezogen, und wartete auf mehr.
    Schließlich erzählte ihr Susan, was geschehen war – mit einer Stimme, die größtenteils tonlos klang, gegen Ende ein wenig bebend, aber das war auch alles. Tante Cord verspürte eine irgendwie zurückhaltende Erleichterung. Vielleicht waren es doch wieder nur die Nerven, die mit einem dummen Mädchen durchgegangen waren!
    Das Ersatzkleid war, wie alle anderen Ersatzkleider, noch nicht fertig; es gab zu viel anderes zu tun. Aus diesem Grund hatte Maria, die Zofe, Susan an Conchetta Morgenstern, die oberste Schneiderin, verwiesen, die Susan ohne ein Wort ins Nähzimmer im Erdgeschoss führte – wenn Schweigen Gold war, hatte Susan sich schon häufig überlegt, dann müsste Conchetta so reich sein, wie es die Schwester des Bürgermeisters angeblich war.
    Das »Blaue Kleid mit Perlen« war über eine kopflose Schneiderpuppe drapiert worden, die unter einem niedrigen Vorsprung stand, und

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