Der Dunkle Turm 4 - Glas
obschon Susan zerfetzte Stellen am Saum und ein kleines Loch auf der Rückseite sehen konnte, war es keineswegs das zerfetzte Ding, das sie erwartet hatte.
»Kann man es nicht retten?«, fragte sie ziemlich schüchtern.
»Nein«, sagte Conchetta brüsk. »Zieh die Hosen aus, Mädchen. Hemd auch.«
Susan gehorchte, stand barfuß in dem kühlen, kleinen Raum und verschränkte die Arme vor der Brust… nicht, dass Conchetta je auch nur das geringste Interesse an dem gezeigt hätte, was Susan vorzugsweise hatte, weder vorn noch hinten, weder oben noch unten.
Es schien, als sollte das »Blaue Kleid mit Perlen« durch das »Rosa Kleid mit Applikationsstickerei« ersetzt werden. Susan stieg hinein, zog die Träger hoch und blieb geduldig stehen, während Conchetta sich bückte, Maß nahm und vor sich hin murmelte, derweil sie manchmal mit einem Stück Kreide Zahlen auf einen der Steine an der Wand schrieb und manchmal ein Stück Stoff nahm und fester an Susans Taille oder Becken zog und im Spiegel an der gegenüberliegenden Wand überprüfte, wie es aussah. Wie immer bei dieser Prozedur schweiften Susans Gedanken ab, und sie ließ ihnen freien Lauf. In letzter Zeit gab sie sich gern Tagträumen hin, wie sie Seite an Seite mit Roland die Schräge entlangritt, bis sie schließlich zu einem Weidenwäldchen über dem Hambry Creek gelangten.
»Bleib so reglos stehen, wie du kannst«, sagte Conchetta kurz angebunden. »Bin gleich wieder da.«
Susan merkte kaum, dass die Frau fort war; merkte kaum, dass sie sich im Haus des Bürgermeisters befand. Der Teil von ihr, auf den es wirklich ankam, war nicht da. Dieser Teil war bei Roland in dem Weidenwäldchen. Sie konnte den schwachen, halb lieblichen, halb stechenden Duft der Bäume riechen und das leise Murmeln des Bachs hören, als sie sich Stirn an Stirn niederlegten. Er strich ihr mit der Handfläche über das Gesicht, bevor er sie in die Arme nahm…
Dieser Tagtraum war so realistisch, dass Susan zunächst hingebungsvoll auf die Arme reagierte, die von hinten um ihre Taille gelegt wurden, und den Rücken krümmte, als ihr die Hände über den Bauch strichen und sich dann zu den Brüsten hocharbeiteten. Auf einmal hörte sie eine Art pflügenden, schnaubenden Atem im Ohr, roch Tabak und begriff, was da wirklich geschah. Nicht Roland berührte ihre Brüste, sondern Hart Thorin mit seinen langen und knochigen Fingern. Sie sah in den Spiegel und erblickte ihn, wie er ihr wie ein Inkubus über die Schulter sah. Seine Augen quollen aus den Höhlen, er hatte trotz der Kühle in dem Zimmer große Schweißperlen auf der Stirn, und seine Zunge hing buchstäblich wie die eines Hundes an einem heißen Tag aus dem Mund. Ekel stieg ihr im Hals empor wie der Geschmack von verdorbenen Speisen. Sie versuchte, sich ihm zu entziehen, aber er hielt sie nur noch fester und zog sie an sich. Seine Knöchel knackten widerwärtig, und nun konnte sie den harten Wulst in seiner Leibesmitte spüren.
In den vergangenen Wochen hatte Susan manchmal die Hoffnung gehegt, dass Thorin außerstande sein würde, wenn der Zeitpunkt gekommen war – dass er nicht in der Lage wäre, ein Eisen aus der Esse zu ziehen. Sie hatte gehört, dass Männern so etwas häufig passierte, wenn sie ein gewisses Alter erreicht hatten. Der harte, pochende Stab, der an ihrem Hintern lag, machte dieses Wunschdenken im Handumdrehen zunichte.
Sie hatte wenigstens ein gewisses Maß Diplomatie aufgebracht, indem sie einfach ihre Hände auf die seinen legte und von ihren Brüsten wegzog, anstatt wieder von ihm abzurücken (Cordelia blieb gleichgültig, als sie diesen Teil der Geschichte hörte, und ließ sich die große Erleichterung darüber nicht anmerken).
»Bürgermeister Thorin… Hart… Ihr dürft nicht… es ist weder der Ort noch die Zeit… Rhea hat gesagt…«
»Scheiß auf sie und alle Hexen!« Sein kultivierter Politikertonfall war einer Sprechweise gewichen, die so breit war wie die eines hinterwäldlerischen Farmarbeiters aus Onnies Furt. »Ich muss etwas haben, ein Bonbon, aye, das muss ich. Scheiß auf die Hexe, sage ich! Eulenscheiße auf sie!« Der Tabaksgeruch hüllte ihren Kopf wie eine dicke Wolke ein. Ihr war, als müsste sie sich übergeben, wenn sie ihn noch länger einatmen musste. »Bleib einfach stehen, Mädchen. Bleib stehen, meine Versuchung. Und gib fein Acht!«
Irgendwie gelang es ihr. Es gab sogar einen entlegenen Teil ihres Verstandes, einem einzig und allein auf Selbsterhaltung ausgerichteten
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