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Der Dunkle Turm 4 - Glas

Titel: Der Dunkle Turm 4 - Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: King Stephen
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außer im körperlichen) kam es so vor, als wären inzwischen Stunden verstrichen, aber es waren nicht mehr als fünfundvierzig Minuten gewesen. Der letzte Mond des Sommers, kleiner geworden, aber immer noch hell, schien weiterhin auf sie herab.
    Sie führte ihn eine der Obstreihen hinab zu der Stelle, wo sie ihr Pferd festgezurrt hatte. Pylon nickte mit dem Kopf und wieherte Roland leise zu. Er sah, dass das Pferd auf Lautlosigkeit getrimmt worden war – jede Schnalle gepolstert, die Steigbügel selbst in Filz gehüllt.
    Dann drehte er sich zu Susan um.
    Wer kann sich an die Qualen und die Süße jener frühen Jahre erinnern? Wir erinnern uns an unsere erste Liebe nicht deutlicher als an die Halluzinationen bei hohem Fieber. Es soll genügen zu sagen, dass Roland Deschain und Susan Delgado in jener Nacht unter dem abnehmenden Mond von ihrem Verlangen nacheinander fast zerrissen wurden; sie quälten sich darum, richtig zu handeln, und litten unter Gefühlen, die ebenso verzweifelt wie tief empfunden waren.
    Was heißen soll, sie gingen aufeinander zu, wichen wieder zurück, sahen einander, von hilfloser Faszination erfüllt, in die Augen, gingen wieder aufeinander zu und verharrten. Sie erinnerte sich mit einer Art von Entsetzen daran, was er gesagt hatte: dass er alles für sie tun würde, außer sie mit einem anderen Mann zu teilen. Sie würde ihr Versprechen gegenüber Bürgermeister Thorin nicht brechen – konnte es vielleicht gar nicht –, und es schien, als wollte (oder konnte) Roland es nicht für sie brechen. Am allerschrecklichsten jedoch war: So stark der Wind des Ka auch sein mochte, es schien, als würden sich Ehre und die Versprechen, die sie einander gegeben hatten, doch als stärker erweisen.
    »Was wirst du jetzt tun?«, fragte sie mit trockenen Lippen.
    »Ich weiß nicht. Ich muss nachdenken und mich mit meinen Freunden beraten. Wirst du Ärger mit deiner Tante haben, wenn du nach Hause kommst? Wird sie wissen wollen, wo du gewesen bist und was du getan hast?«
    »Machst du dir um mich Sorgen oder um dich und deine Pläne, Will?«
    Er antwortete nicht, sondern sah sie nur an. Nach einem Moment schlug Susan die Augen nieder.
    »Tut mir Leid, das war grausam. Nein, sie wird mir keine Fragen stellen. Ich reite oft nachts aus, wenn auch nicht oft so weit vom Haus weg.«
    »Sie wird nicht wissen, wie weit du geritten bist?«
    »Nay. Und neuerdings gehen wir uns sorgfältig aus dem Weg. Es ist, als hätte man zwei Pulverfässer im selben Haus.« Sie streckte die Hände aus. Die Handschuhe hatte sie in den Gürtel gesteckt, die Finger, die seine ergriffen, waren kalt. »Das alles wird kein gutes Ende nehmen«, sagte sie flüsternd.
    »Sag das nicht, Susan.«
    »Aye, ich sage es. Ich muss. Aber was immer kommen mag, ich liebe Ihn, Roland.«
    Er nahm sie in die Arme und küsste sie. Als er ihre Lippen freigab, hielt sie sie an sein Ohr und flüsterte: »Wenn du mich liebst, dann liebe mich. Bring mich dazu, mein Versprechen zu brechen.«
    Einen langen Augenblick, in dem ihr Herz nicht schlug, bekam sie keine Antwort von ihm und erlaubte sich zu hoffen. Dann schüttelte er den Kopf – nur einmal, aber mit Nachdruck. »Susan, ich kann nicht.«
    »Ist demnach deine Ehre so viel größer als die Liebe, die du mir geschworen hast? Aye? Dann soll es so sein.« Sie entzog sich seiner Umarmung, fing an zu weinen und beachtete seine Hand an ihrem Stiefel nicht, als sie sich in den Sattel schwang – ebenso wenig seinen leisen Ruf, sie möge warten. Sie machte den Knoten auf, mit dem sie Pylon angebunden hatte, und dirigierte ihn mit einem sporenlosen Fuß herum. Roland rief immer noch nach ihr, diesmal lauter, aber sie trieb Pylon zum Galopp und entfernte sich von ihm, bevor ihr kurzer Wutausbruch vergehen konnte. Er wollte sie gebraucht nicht haben, und ihr Versprechen gegenüber Hart Thorin hatte sie gegeben, bevor sie gewusst hatte, dass Roland auf Erden wandelte. Da das so war, wie konnte er darauf beharren, dass der Verlust der Ehre und die daraus resultierende Schande nur sie betraf? Später, als sie schlaflos im Bett lag, wurde ihr klar, dass er auf gar nichts beharrt hatte. Und sie hatte den Orangenhain noch nicht einmal hinter sich gelassen, als sie die linke Hand zum Gesicht hob, die Nässe dort spürte und merkte, dass auch er geweint hatte.
     
     
    18
     
    Roland ritt bis nach Monduntergang auf den Straßen vor der Stadt umher und versuchte, seine aufgewühlten Gefühle irgendwie in den Griff zu

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