Der Dunkle Turm 4 - Glas
Ufer des Bachs schlief, erzählte sie ihm mit einer entrückten, aber ruhigen Stimme von der Untersuchung durch die alte Frau und wie Rhea versucht hatte, sie »hochzukitzeln«. (Dabei ballte Roland die Fäuste so sehr, dass ihm die Nägel in die Handflächen schnitten.) Aber es kam der Punkt, an dem sie sich einfach nicht mehr erinnern konnte.
Sie und Rhea seien zur Tür der Hütte gegangen, sagte Susan, und da hätten sie gestanden, während der Kussmond auf ihre Gesichter herunterschien. Die alte Frau habe ihr Haar berührt, daran erinnere sie sich noch. Die Berührung durch die Hexe habe sie angeekelt, besonders nach den vorausgegangenen Berührungen, aber sie habe einfach nichts dagegen unternehmen können. Arme zu schwer, um sie zu heben; Zunge zu schwer, um zu sprechen. Sie konnte nur dastehen, während ihr die Hexe ins Ohr flüsterte.
»Was?«, fragte Roland. »Was hat sie geflüstert?«
»Ich weiß nicht«, sagte Susan. »Der Rest ist rosa.«
»Rosa? Was meinst du damit?«
»Rosa«, wiederholte sie. Sie hörte sich fast amüsiert an, so als würde sie glauben, dass Roland sich absichtlich dumm stellte. »Sie sagt: ›Aye, prima, genau so, bist ein braves Mädchen‹, und dann wird alles rosa. Rosa und hell.«
»Hell.«
»Aye, wie der Mond. Und dann…« Eine Pause. »Dann wird es, glaube ich, zum Mond. Dem Kussmond vielleicht. Einem leuchtend rosa Kussmond, so rund und voll wie eine Pampelmuse.«
Er suchte erfolglos nach anderen Wegen, in ihre Erinnerung vorzustoßen – jeder Pfad, mit dem er es versuchte, hörte an dem hellen rosa Licht auf, das zuerst ihre Erinnerungen überstrahlte und dann zum Vollmond wurde. Das sagte Roland nichts; er hatte von blauen Monden gehört, aber noch nie von rosaroten. Er wusste nur eines mit Sicherheit, nämlich dass die alte Frau ihr einen eindringlichen Befehl gegeben hatte, alles zu vergessen.
Er überlegte sich, ob er sie noch tiefer führen sollte – sie wäre ihm auf jeden Fall gefolgt –, wagte es aber nicht. Seine Erfahrungen rührten überwiegend daher, dass er seine Freunde hypnotisiert hatte – Übungen im Unterricht, die lustig und manchmal auch gruselig gewesen waren. Außerdem waren stets Cort oder Vannay dabei gewesen, um alles in Ordnung zu bringen, falls etwas schief ging. Hier waren aber keine Lehrmeister anwesend, die eingreifen konnten; ob gut oder schlecht, die Schüler hatten die Schule für sich allein. Was, wenn er sie tiefer führte, aber nicht mehr zurückbringen konnte? Und man hatte ihm gesagt, dass Dämonen im Unterbewusstsein lauerten. Wenn man hinabstieg, wo sie sich aufhielten, kamen sie manchmal aus ihren Höhlen geschwommen, um einem aufzulauern…
Abgesehen von allen anderen Einwänden, es wurde spät. Es wäre nicht klug, noch länger hier zu verweilen.
»Susan, kannst du mich hören?«
»Aye, Roland, ich höre dich sehr wohl.«
»Gut. Ich werde jetzt einen Vers aufsagen. Während ich ihn aufsage, wirst du erwachen. Sobald ich damit fertig bin, wirst du wach sein und dich an alles erinnern, was ich gesagt habe. Hast du verstanden?«
»Aye.«
»Hör zu: Vogel und Bär und Fisch und Hase/Lest meiner Liebsten jeden Wunsch von der Nase.«
Ihr Lächeln, nachdem sie wieder zu sich gekommen war, war einer der schönsten Anblicke, die sich ihm je geboten hatten. Sie streckte sich und legte ihm die Arme um den Hals und bedeckte sein Gesicht mit Küssen. »Du, du, du, du«, sagte sie. »Du bist mein einziger Wunsch. Du und du, für immer und immer.«
Sie liebten sich noch einmal am Ufer, neben dem murmelnden Bach, hielten dabei einander so fest, wie sie nur konnten, atmeten einander in den Mund und lebten vom Atem des anderen. Du, du, du, du.
13
Zwanzig Minuten später half er ihr auf Felicias Rücken. Susan beugte sich herab, nahm sein Gesicht zwischen die Hände und küsste ihn innig.
»Wann werde ich dich wiedersehen?«, fragte sie.
»Bald. Aber wir müssen vorsichtig sein.«
»Aye. So vorsichtig, wie zwei Liebende nur jemals waren, wie mir scheint. Den Göttern sei Dank, dass du so schlau bist.«
»Wir könnten wieder Sheemie in Anspruch nehmen, wenn es nicht allzu oft geschieht.«
»Aye. Und, Roland – kennst du den Pavillon im Green-Heart-Park? Ganz in der Nähe der Stelle, wo bei schönem Wetter immer Tee und Kuchen serviert wird?«
Roland kannte den Park. Der Green Heart, vom Gefängnis und der Stadthalle aus fünfzig Schritte weiter die Hill Street hinauf gelegen, war mit seinen hübschen Wegen, den
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