Der Dunkle Turm 4 - Glas
Bemerkenswertes auf: Die Hand, in die Oy gebissen hatte, um nicht von der Brücke zu fallen, tat nicht mehr weh. Er konnte die Löcher sehen, die die Zähne des Bumblers hinterlassen hatten, und das Blut, das auf Handfläche und Handgelenk eine Kruste bildete, aber die Hand selbst tat nicht mehr weh. Er ballte sie vorsichtig zu einer Faust. Er spürte einen leichten Schmerz, aber schwach und wie aus weiter Ferne, so gut wie gar nicht da.
»Blaine, was kann geschlossen einen Schornstein hinauf, aber nicht offen einen Schornstein hinab?«
»DER SONNENSCHIRM EINER DAME«, antwortete Blaine in jenem Ton vergnügter Überheblichkeit, den allmählich auch Jake zutiefst verabscheute.
»Danke-sai, Blaine, wieder hast du richtig geantwortet. Das nächste…«
»Roland?«
Der Revolvermann drehte sich zu Jake um, und sein konzentrierter Gesichtsausdruck hellte sich dabei etwas auf. Es war kein Lächeln, kam einem solchen aber immerhin schon sehr nahe, und darüber war Jake froh.
»Was ist, Jake?«
»Meine Hand. Sie hat wie verrückt wehgetan, aber jetzt hat es aufgehört!«
»ACH JE«, sagte Blaine mit der polternden Stimme von John Wayne. »ICH KÖNNTE KEINEN HUND MIT EINER SO ÜBEL ZUGERICHTETEN VORDERPFOTE LEIDEN SEHEN, GESCHWEIGE DENN EINEN FEINEN KLEINEN HILFSCOWBOY WIE DICH. DARUM HABE ICH MICH IHRER ANGENOMMEN.«
»Wie soll das gehen?«, sagte Jake.
»SCHAU AUF DIE ARMSTÜTZE AN DEINEM SITZ.«
Jake gehorchte und entdeckte dort ein schwaches Gitter aus Linien. Es hatte gewisse Ähnlichkeit mit dem Lautsprecher des Transistorradios, das er mit sieben oder acht Jahren einmal gehabt hatte.
»EINER VON VIELEN VORTEILEN, WENN MAN IN DER BARONSKLASSE REIST«, fuhr Blaine mit seiner selbstgefälligen Stimme fort. Jake schoss es durch den Kopf, dass Blaine perfekt in die Piper School passen würde. Die erste dipolare Slo-Trans-Arschgeige der Welt. »DAS SPEKTRALVERGRÖSSERUNGSGLAS DES HANDSCANNERS IST GLEICHZEITIG EIN DIAGNOSTISCHES WERKZEUG UND AUSSERDEM IMSTANDE, IN GERINGEM UMFANG ERSTE HILFE ZU LEISTEN, SO WIE ICH ES BEI DIR GETAN HABE. DARÜBER HINAUS IST ES EIN SYSTEM ZUR NAHRUNGSZUFUHR, EIN AUFZEICHNUNGSGERÄT FÜR HIRNWELLENMUSTER, EIN STRESSANALYTIKER UND EIN EMOTIONSVERSTÄRKER, DER AUF NATÜRLICHE WEISE DIE PRODUKTION VON ENDORPHINEN STIMULIEREN KANN. DER HANDSCANNER VERMAG EBENFALLS, AUSSERORDENTLICH REALISTISCHE ILLUSIONEN UND HALLUZINATIONEN ZU ERZEUGEN. WÜRDEST DU GERN DEIN ERSTES SEXUELLES ERLEBNIS MIT EINER BEKANNTEN SEX-GÖTTIN VON DEINER EBENE DES TURMS HABEN, JAKE VON NEW YORK? VIELLEICHT MARILYN MONROE, RAQUEL WELCH ODER EDITH BUNKER?«
Jake lachte. Er vermutete, dass es riskant sein könnte, über Blaine zu lachen, aber diesmal konnte er es einfach nicht verhindern. »Es gibt keine Edith Bunker«, sagte er. »Das ist nur eine Figur aus einer Fernsehserie. Der Name der Schauspielerin ist, hm, Jean Stapleton. Außerdem sieht sie wie Mrs. Shaw aus. Das ist unsere Haushälterin. Nett, aber – du weißt schon – nicht gerade ein steiler Zahn.«
Längeres Schweigen von Blaine. Als sich die Stimme des Computers wieder zu Wort meldete, war der scherzhafte Was-haben-wir-für-einen-Spaß-Ton einer gewissen Kälte gewichen.
»ICH ERFLEHE DEINE VERZEIHUNG, JAKE VON NEW YORK. AUSSERDEM ZIEHE ICH MEIN ANGEBOT EINES SEXUELLEN ERLEBNISSES ZURÜCK.«
Das soll mir eine Lehre sein, dachte Jake und hob eine Hand, um ein Lächeln zu verbergen. Laut (und mit einer, wie er hoffte, hinreichend demütigen Stimme) sagte er: »Schon gut, Blaine. Ich glaube, dafür bin ich sowieso noch ein bisschen zu jung.«
Susannah und Roland sahen einander an. Susannah hatte keine Ahnung, wer Edith Bunker war – Es bleibt in der Familie war in ihrem Wann noch nicht in der Glotze gelaufen. Aber sie begriff dennoch das Wesentliche der Situation; Jake sah, wie sie mit ihren vollen Lippen stumm ein Wort formte und es dem Revolvermann wie eine Botschaft in einer Seifenblase schickte:
Fehler.
Ja. Blaine hatte einen Fehler gemacht. Mehr noch, Jake, ein elfjähriger Junge, hatte ihn entlarvt. Und wenn Blaine den einen gemacht hatte, konnte er auch wieder einen machen. Vielleicht gab es doch Hoffnung. Jake beschloss, dass er diese Möglichkeit behandeln würde wie das Graf, den starken Apfelmost von River Crossing, und sich nur ein bisschen davon gönnen würde.
2
Roland nickte Susannah unmerklich zu, dann drehte er sich wieder zum vorderen Teil des Waggons um, wahrscheinlich, um weitere Rätsel zu stellen. Bevor er den
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