Der Dunkle Turm 4 - Glas
oder hatte sich Blaine an einem bestimmten Punkt selbst seinen emotionalen Regenbogen gebastelt? Eine kleine dipolare Abwechslung, um sich die langen Jahrzehnte und Jahrhunderte zu vertreiben? »MÖCHTET IHR, DASS ICH MICH WIEDER ZURÜCKZIEHE, DAMIT IHR EUCH BERATEN KÖNNT?«
»Ja«, sagte Roland.
Der Streckenplan leuchtete grellrot auf. Eddie drehte sich zum Revolvermann um. Roland setzte hastig einen gefassten Gesichtsausdruck auf, aber zuvor hatte Eddie noch etwas Schreckliches darin entdecken können: einen kurzen Ausdruck vollkommener Hoffnungslosigkeit. Eddie hatte solch eine Miene noch nie gesehen; nicht, als Roland von den Bissen der Monsterhummer gefährlich verletzt worden war; nicht, als Eddie seinen Revolver auf ihn gerichtet hatte; nicht einmal, als der abscheuliche Gasher ihren Jake gefangen genommen hatte und mit ihm in Lud verschwunden war.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Jake. »Eine zweite Runde für uns vier ausdenken?«
»Ich glaube, das hätte wenig Sinn«, sagte Roland. »Blaine muss tausende Rätsel kennen – möglicherweise Millionen –, und das ist nicht gut. Schlimmer allerdings, viel schlimmer, ist die Tatsache, dass er die Technik von Rätseln versteht… die Stelle, die der Verstand aufsuchen muss, damit er sich Rätsel ausdenken und sie lösen kann.« Er drehte sich zu Eddie und Susannah um, die wieder die Arme umeinander gelegt hatten. »Habe ich damit Recht?«, fragte er. »Stimmt ihr mir zu?«
»Ja«, sagte Susannah, und Eddie nickte widerwillig. Er wollte nicht zustimmen… aber ihm blieb keine Wahl.
»Und?«, sagte Jake. »Was sollen wir tun, Roland? Ich meine, es muss doch einen Ausweg geben… Oder nicht?«
Lüg ihn an, du Dreckskerl, sandte Eddie seine Gedanken verbissen in Rolands Richtung.
Roland, der den Gedanken vielleicht sogar gehört hatte, gab sich jedenfalls größte Mühe. Er strich Jake mit der verstümmelten Hand über das Haar und zerzauste es. »Ich glaube, es gibt immer einen Ausweg, Jake. Die entscheidende Frage ist, ob wir genug Zeit haben, das richtige Rätsel zu finden, oder nicht. Er hat behauptet, er braucht etwas weniger als neun Stunden für seine Route…«
»Acht Stunden und fünfundvierzig Minuten«, warf Jake ein.
»… und das ist nicht sonderlich viel Zeit. Wir sind schon fast eine Stunde unterwegs…«
»Und wenn die Karte stimmt, haben wir die halbe Strecke bis Topeka bereits hinter uns«, sagte Susannah mit gepresster Stimme.
»Könnte sein, dass unser mechanischer Freund uns belogen hat, was die Länge der Fahrt angeht. Um seine Chancen ein bisschen zu verbessern.«
»Könnte sein«, sagte Roland.
»Also, was sollen wir tun?!«, wiederholte Jake seine Frage.
Roland holte tief Luft, hielt kurz den Atem an und ließ ihn dann wieder entweichen. »Lasst mich ihm vorerst allein meine Rätsel stellen. Ich werde ihm die schwierigsten aufgeben, an die ich mich noch von den Jahrmärkten meiner Jugend erinnere. Und, Jake, wenn wir uns dann immer noch mit gleicher Geschwindigkeit dem Punkt der… Wenn wir uns Topeka mit derselben Geschwindigkeit nähern, solltest du ihm, glaube ich, die letzten Rätsel aus deinem Buch aufgeben. Die schwersten Rätsel.« Er rieb sich geistesabwesend das Gesicht und betrachtete die Eisskulptur. Das kalte Ebenbild seiner selbst war inzwischen zu einem unkenntlichen Klumpen geschmolzen. »Ich finde immer noch, dass die Lösung in dem Buch sein muss. Warum sonst hättest du zu ihm hingezogen werden sollen, bevor du in diese Welt zurückgezogen worden bist?«
»Und wir?«, fragte Susannah. »Was sollen Eddie und ich tun?«
»Nachdenken«, sagte Roland. »Nachdenken, um euer Väter willen.«
›»Ich schieße nicht mit der Hand‹«, sagte Eddie. Plötzlich fühlte er sich weit entfernt, sich selbst fremd. So hatte er sich gefühlt, als er erst die Steinschleuder und dann den Schlüssel in jenen Holzstücken gesehen hatte, die beide nur darauf warteten, dass er sie schnitzend daraus befreite… und gleichzeitig war das jetzige Gefühl völlig anders.
Roland sah ihn seltsam an. »Ja, Eddie, du sprichst wahrhaftig. Ein Revolvermann schießt mit dem Verstand. Woran hast du gerade gedacht?«
»An nichts.« Er hätte vielleicht mehr gesagt, aber plötzlich kam ihm ein seltsames Bild – eine seltsame Erinnerung – in die Quere: Roland, wie er während einer Rast auf dem Weg nach Lud bei Jake kauerte. Beide vor dem zum Lagerfeuer aufgeschichteten Holz, das noch nicht angezündet war. Roland wieder einmal bei
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