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Der Dunkle Turm 4 - Glas

Titel: Der Dunkle Turm 4 - Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: King Stephen
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arme alte Sheemie würde im Kochtopf enden – heute ein heißes Abendessen, morgen Suppe, und bis zu Jahresausklang was Kaltes für Zwischendurch. Das würde aus ihm werden.
    Er ging widerwillig auf Beinen wie aus Gummi zu Rheas Veranda – wenn seine Knie näher beisammen gewesen wären, hätten sie wie Kastagnetten geklappert. Die alte Frau hörte sich nicht mal mehr wie früher an.
    »S-Sai? Ich hab Angst. Das hab i-i-ich.«
    »Das solltest du auch«, sagte die Stimme. Sie wallte und waberte und drang ins Sonnenlicht heraus wie eine eklige Rauchwolke. »Aber das ist nicht wichtig – tu einfach, was ich dir sage. Komm näher, Sheemie, Sohn des Stanley.«
    Sheemie gehorchte, obwohl das Entsetzen jeden seiner Schritte lähmte. Der Esel folgte ihm mit gesenktem Kopf. Capi hatte den ganzen Weg herauf geschrien wie eine Gans – ununterbrochen geschrien –, aber jetzt war er verstummt.
    »Da bist du also«, flüsterte die in den Schatten begrabene Stimme. »Da bist du wahrhaftig.«
    Sie trat in das Sonnenlicht, das durch die offene Tür hineinfiel, und zuckte kurz zusammen, weil sie davon geblendet wurde. In den Armen hielt sie das leere Graf -Fass. Ermot hatte sie sich wie eine Kette um den Hals gelegt.
    Sheemie hatte die Schlange schon früher gesehen und sich stets gefragt, welche Qualen er vor seinem Tod erleiden würde, sollte er von so einer gebissen werden. Heute kamen ihm solche Gedanken nicht. Verglichen mit Rhea, sah Ermot irgendwie normal aus. Das Gesicht der alten Frau war an den Wangen eingefallen, was dem Rest ihres Kopfes das Aussehen eines Totenschädels verlieh. Braune Flecken schwärmten wie Insekten aus ihrem dünnen Haar hervor und über ihre gewölbte Stirn. Unter dem linken Auge hatte sie eine offene Schwäre, und wenn sie grinste, konnte man nur noch ein paar verbliebene Zähne sehen.
    »Magst mein Aussehen nicht, was?«, sagte sie. »Macht dein Herz kalt, was?«
    »N-nein«, sagte Sheemie, aber dann, weil es sich nicht richtig anhörte: »Ich meine: Ja!« Aber, Götter, das hörte sich noch schlimmer an. »Ihr seid wunderschön, Sai!«, stieß er hervor.
    Sie schnaufte ein fast lautloses Lachen und drückte ihm das leere Fass so fest in die Arme, dass er sich um ein Haar auf den Hosenboden gesetzt hätte. Sie berührte ihn zwar nur kurz mit den Fingern, aber lange genug, dass er überall eine Gänsehaut bekam.
    »Je nun. Man soll nie nach dem Äußeren urteilen, wies heißt, oder nicht? Und das trifft auch auf mich zu. Aye, ganz und gar. Bring mir mein Graf, Idiotenkind.«
    »J-ja, Sai! Sofort, Sai!« Er trug das leere Fass zum Esel zurück, stellte es ab und fummelte den Strick auf, mit dem das kleine Fass frisches Graf festgebunden war. Er spürte zu deutlich, wie sie ihn beobachtete, aber schließlich bekam er das Fass los. Es rutschte ihm fast aus den Händen, und er erlebte einen albtraumhaften Augenblick, als er dachte, es würde gleich auf den steinigen Boden fallen und zerschellen, aber in der allerletzten Sekunde bekam er es wieder zu fassen. Er brachte es ihr, hatte gerade genug Zeit, um zu bemerken, dass sie die Schlange nicht mehr trug, und spürte schon, wie sie auf seine Stiefel kroch. Ermot sah zu ihm auf, zischte und entblößte ein doppeltes Paar Giftzähne zu einem unheimlichen Grinsen.
    »Beweg dich nicht zu schnell, mein Junge. ’s wäre unklug – Ermot ist heute verdrießlicher Laune. Stell das Fass gleich hier neben der Tür ab. Es ist zu schwer für mich. Hab in letzter Zeit ein paar Mahlzeiten ausfallen lassen, das hab ich.«
    Sheemie bückte sich (mach deine schönste Verbeugung, hatte Sai Thorin gesagt, und nun war er hier und machte genau das), verzog das Gesicht, wagte es nicht, den Rücken zu entlasten, indem er die Füße bewegte, weil die Schlange immer noch darauf lag. Als er sich wieder aufrichtete, hielt ihm Rhea einen alten und fleckigen Umschlag hin. Die Klappe war mit einem Klumpen rotem Wachs versiegelt worden. Sheemie graute vor der Frage, was eingeschmolzen worden sein mochte, um dieses Wachs zu machen.
    »Nimm das und gib es Cordelia Delgado. Kennst du sie?«
    »A-Aye«, brachte Sheemie heraus. »Susan-Sais Tantchen.«
    »Ganz recht.« Sheemie griff zögernd nach dem Umschlag, aber sie hielt ihn noch einen Moment zurück. »Kannst nicht lesen, oder, Idiotenjunge?«
    »Nay. Worte und Buchstaben verschwinden einfach aus meinem Kopf.«
    »Gut. Denk dran, dass du das niemandem zeigst, der lesen kann, sonst wird eines Nachts Ermot unter deinem Kissen

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