Der Dunkle Turm 4 - Glas
musste, würde er durchdrehen. Alle Gedanken an Bruderschaft und Ka-Tet verschwanden aus seinem Geist, der in den Körper zurücksank und augenblicklich von einer simplen roten Wut ertränkt wurde. Jonas war hier gewesen. Jonas hatte auf ihre Kleidung gepinkelt, hatte Alains Mutter eine Fotze genannt, hatte ihre kostbarsten Bilder zerrissen, kindische Obszönitäten an die Wände geschmiert, ihre Tauben abgemurkst. Roland hatte es gewusst… nichts getan… beabsichtigte, auch weiterhin nichts zu tun. Außer sein Feinsliebchen zu ficken. Das würde er bei jeder sich bietenden Gelegenheit tun, aye, weil ihn überhaupt nichts anderes mehr kümmerte.
Aber wenn du das nächste Mal in den Sattel steigst, wird ihr dein Gesicht nicht gefallen, dachte Cuthbert. Dafür werde ich sorgen.
Er holte mit der Faust aus. Alain hielt ihn sofort am Handgelenk fest. Roland wandte sich ab und fing an, verstreute Decken aufzuheben, als wären ihm Cuthberts wütendes Gesicht und die geballte Faust einfach gleichgültig.
Cuthbert ballte die andere Faust, um Alain auf die eine oder andere Weise zu überzeugen, ihn loszulassen, aber der Anblick des runden und ehrlichen Gesichts seines Freundes, so arglos und entsetzt, besänftigte seine Wut ein wenig. Er lag nicht mit Alain im Streit. Cuthbert war sich sicher, der andere Junge hatte gewusst, dass etwas Schlimmes sich hier abspielte, aber er war sich auch sicher, dass Roland darauf bestanden hatte, nichts zu unternehmen, bis Jonas wieder fort war.
»Komm mit«, murmelte Alain und legte Bert einen Arm um die Schultern. »Hinaus. Um deines Vaters willen, komm. Du musst dich abkühlen. Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, untereinander zu kämpfen.«
»Es ist auch nicht der Zeitpunkt, dass unser Anführer nur noch mit seinem Schwanz denkt«, sagte Cuthbert und versuchte erst gar nicht, die Stimme zu dämpfen. Aber als Alain ein zweites Mal an ihm zog, ließ sich Cuthbert zur Tür führen.
Ich werde meine Wut auf ihn noch einmal bezähmen, dachte er, aber ich glaube – ich weiß –, noch einmal schaffe ich es nicht. Ich muss dafür sorgen, dass Alain ihm das klar macht.
Der Gedanke, Alain als Mittelsmann zu seinem besten Freund zu benutzen – das Wissen, dass es so weit hatte kommen können –, erfüllte Cuthbert mit einer rasenden, verzweifelten Wut, weshalb er sich an der Tür zur Veranda noch einmal zu Roland umdrehte. »Sie hat dich zu einem Feigling gemacht«, sagte er in der Hohen Sprache. Alain, der neben ihm stand, sog zischend den Atem ein.
Roland, der gerade Decken auf den Armen hielt, blieb mit dem Rücken zu ihnen stehen, als wäre er plötzlich zu Stein erstarrt. In diesem Augenblick war Cuthbert sich sicher, dass Roland sich gleich umdrehen würde, um auf ihn loszustürmen. Sie würden kämpfen, höchstwahrscheinlich bis einer von ihnen tot oder blind oder bewusstlos war. Wahrscheinlich würde er derjenige sein, doch das kümmerte ihn längst nicht mehr.
Aber Roland drehte sich nicht um. Stattdessen sagte er, ebenfalls in der Hohen Sprache: »Er ist hergekommen, um uns unsere Gelassenheit und unsere Vorsicht zu stehlen. Bei dir ist ihm das gelungen.«
»Nein«, sagte Cuthbert und fiel wieder in die niedere Sprache zurück. »Ich weiß, dass ein Teil von dir das wirklich glaubt, aber es stimmt nicht. Die Wahrheit ist, du hast deinen Kompass verloren. Du hast deine Unbedachtheit Liebe genannt und Verantwortungslosigkeit zur Tugend erhoben. Ich…«
»Um der Götter willen, komm!«, fauchte Alain nur und zerrte ihn zur Tür hinaus.
9
Als Roland nicht mehr zu sehen war, spürte Cuthbert, wie sich seine Wut unwillkürlich gegen Alain richtete; sie drehte sich wie eine Wetterfahne mit dem Wind. Die beiden standen sich im sonnigen Hof gegenüber, Alain unglücklich und geistesabwesend, Cuthbert mit so fest geballten Fäusten, dass sie an seinen Seiten bebten.
»Warum nimmst du ihn immer in Schutz? Warum?«
»Draußen auf der Schräge hat er mich gefragt, ob ich ihm vertraue. Ich habe gesagt, das tue ich. Und ich tue es noch.«
»Dann bist du ein Narr.«
»Und er ist der Revolvermann. Wenn er sagt, wir müssen noch warten, dann müssen wir noch warten.«
»Er ist nur durch Zufall ein Revolvermann! Er ist eine Missgeburt! Ein Mutie!«
Alain starrte ihn mit stummem Entsetzen an.
»Komm mit mir mit, Alain. Es ist an der Zeit, dass wir diesem verrückten Spiel ein Ende bereiten. Wir finden Jonas und töten ihn. Unser Ka-Tet ist zerbrochen. Wir bilden ein neues,
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