Der Dunkle Turm 4 - Glas
die Zaubererkugel ihn umbringen.
Aber es war nicht nötig. Als würde sie Cuthberts Revolver sehen und wissen, was er bedeutete, wurde die Kugel augenblicklich schwarz und lag mit einem Mal tot in Rolands Händen. Rolands verkrampfter Leib, in dem jede Sehne und jeder Muskel angespannt war und vor Grauen zitterte, erschlaffte. Er fiel um wie ein Stein und ließ endlich die Kugel los. Sein Bauch milderte den Fall der Kugel; sie rollte von ihm herunter und blieb neben einer seiner schlaffen, ausgestreckten Hände liegen. Nichts leuchtete mehr in der Dunkelheit, außer einem hässlichen orangeroten Funken – die winzige Spiegelung des aufgehenden Dämonenmonds.
Alain betrachtete die Glaskugel mit einer Art angewiderter, furchtsamer Ehrfurcht; betrachtete sie wie ein gefährliches Tier, das nur schlief… aber bald wieder aufwachen würde, um wild um sich zu beißen.
Er machte einen Schritt vorwärts und wollte sie mit dem Stiefel zu Staub zertreten.
»Wage es nicht«, sagte Cuthbert mit heiserer Stimme. Er kniete neben Rolands regloser Gestalt, sah aber Alain an. Der aufgehende Mond spiegelte sich in seinen Augen, zwei kleine, helle Steinchen aus Licht. »Wage es nicht, nach all dem Elend und Tod, das wir durchgemacht haben, um sie zu bekommen. Denk nicht mal daran.«
Alain sah ihn unsicher an, dachte, dass er das verfluchte Ding trotzdem vernichten sollte – erlittenes Elend rechtfertigte kein künftiges Elend, und solange dieses Ding auf dem Boden unversehrt blieb, würde es niemandem etwas anderes bringen als Not und Elend. Es war eine Elendsmaschine, das war es, und es hatte Susan Delgado getötet. Er hatte zwar nicht gesehen, was Roland in dem Glas gesehen hatte, aber er hatte das Gesicht seines Freundes gesehen, und das hatte genügt. Das Ding hatte Susan getötet, und es würde noch mehr töten, wenn es unversehrt blieb.
Aber dann musste er an das Ka denken und wich zurück. Später sollte er allerdings bitter bereuen, dass er so gehandelt hatte.
»Steck sie wieder in den Beutel«, sagte Cuthbert, »und dann hilf mir mit Roland. Wir müssen hier weg.«
Der Beutel mit der Kordel lag zusammengeknüllt in der Nähe und flatterte im Wind. Alain hob die Kugel auf, deren glatte, runde Oberfläche er hasste, und rechnete schon damit, dass sie unter seiner Berührung gleich wieder zum Leben erwachen würde. Aber sie blieb dunkel. Er steckte sie in den Beutel, den er sich danach wieder über die Schulter schwang. Dann kniete er neben Roland nieder.
Er wusste nicht, wie lange sie vergeblich versuchten, ihn wieder zu sich zu bringen – jedenfalls bis der Mond so hoch am Himmel stand, dass er wieder seine Silberfarbe annahm und der Rauch aus dem Canyon sich auflöste, mehr wusste er nicht. Bis Cuthbert ihm sagte, es sei genug; sie würden ihn über Rushers Sattel legen und auf diese Weise mit ihm reiten müssen. Wenn sie es vor Morgengrauen in das bewaldete Land westlich der Baronie schafften, sagte Cuthbert, wären sie wahrscheinlich in Sicherheit… aber so weit mussten sie mindestens kommen. Sie hatten Farsons Männer verblüffend mühelos geschlagen, aber die versprengten Überreste würden sich bestimmt bis zum folgenden Tag wieder zusammentun. Bevor das geschehe, sollten sie schon verschwunden sein.
Und so verließen sie den Eyebolt Canyon und mit ihm den Küstenstrich von Mejis; sie ritten unter dem Dämonenmond nach Westen, während Roland wie ein Toter über seinem Sattel lag.
27
Den nächsten Tag verbrachten sie in Il Bosque, dem Wald westlich von Mejis, und warteten darauf, dass Roland aufwachte. Als der Nachmittag kam und er immer noch bewusstlos blieb, sagte Cuthbert: »Sieh zu, ob du Fühlung mit ihm aufnehmen kannst.«
Alain nahm Rolands Hände in seine, bot alle Konzentration auf, beugte sich über das bleiche, schlafende Gesicht seines Freundes und blieb fast eine halbe Stunde in dieser Haltung. Schließlich schüttelte er den Kopf, ließ Rolands Hand los und stand auf.
»Nichts?«, fragte Cuthbert.
Alain seufzte und schüttelte weiter den Kopf.
Sie fertigten aus Kiefernästen eine Schleppbahre, damit er nicht noch eine Nacht quer über dem Sattel liegend reiten musste (abgesehen davon, schien es Rusher zu beunruhigen, seinen Herrn auf diese Weise zu tragen), und zogen weiter, aber nicht auf der Großen Straße – das wäre viel zu gefährlich gewesen –, sondern parallel dazu. Als Roland auch am folgenden Tag bewusstlos blieb (Mejis blieb hinter ihnen zurück, und die beiden
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